Das Waldhaus.
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weißen Traumkörner ihres Lichtes darauf uiederfallen ließH, und nun Klarissens Harfe
plötzlich ertönte — man wußte nicht woher, deun das lichtgraue Haus lag auf diesen
großen Massen nur wie ein silberner Punkt — und wenn die leichten einzelnen Töne
wie ein süßer Pulsschlag durch die schlafende Mitternachtsluft giengeu, die weithin
glänzend, elektrisch, unbeweglich auf den weiten schwarzen Forsten lag: so war es nicht
anders, als gienge sachte ein neues Fühlen durch den ganzen Wald, und die Töne
waren, als rühre er hie und da ein klingend Glied — das Reh trat heraus, die schlum¬
mernden Vögel nickten auf ihren Zweigen und träumten von neuen Himmelsmelodien,
die sie morgen nicht werden singen können, — und das Echo versuchte sogleich das
goldneRäthsel nachzulallen.-Und als die Harfe längst schwieg, das schöne Haupt
schon auf seinem Kissen ruhte — so horchte noch die Nacht, der senkrecht stehende Voll¬
mond hieng^) lange Strahlen in die Fichtenzweige und säumte das Wasser mit stummen
Blitzen — indessen gieng die Wucht und Wölbung der Erde, unempfnnden und unge-
hört von ihren Bewohnern, stürmend dem Osten zu — der Mond wuroe gegen Westen
geschleudert, die alten Sterne mit, neue zogen im Osten auf-und so immer fort,
bis endlich mitten unter ihnen am Waldrande ein blasser milchiger1 3) Lichtstreifen auf¬
blühte — ein frisches Lüftchen an die Wipfel stieß — und der Morgenschrei ans der
Kehle eines Vogels drang4 *). Adalbert Stifter.
13 Wald und Feld.
(„Land und Leute." 5. Anst. 186t.)
Wal-d, Weide, Wasser sind nach einem uralten deutschen Rechtsgrnndsatze gemeine
Nutzungen aller Markgenossen Z. Der Spruch von Wald, Weide und Wasser ist noch
nicht ganz vergessen beim Volke. So bestätigt uns eine schwach dämmernde Erinnerung,
eine halb verklungene Sage, welche das gemeinsame Anrecht ans allerlei Waldnlitzen
wie einen vom Anfang der Tage her in Kraft stehenden naturrechtlichen Grundsatz be¬
trachtet, die Ergebnisse des historischen Forschens, dem zufolge die Idee der Güterge¬
meinschaft des Waldes eine echte altgermanische war.
In aufgeregten Tagen hat man wunderschöne Rechenexempel aufs Papier gebracht
über das Zerschlagen des Waldbodens zu kleinen Ackerstücken für die Armut. Das
Papier ist geduldig, und es liest sich so idyllisch ^), so behaglich, wenn uns vorgerechnet
wird, wie man aus dem karg ertragenden Waldboden Hunderte von allerliebsten kleinen
Landgütchen herausschneiden könne, auf welchen die Proletarier D zu einem zufriedenen
nrväterlichen Farmerleben 8) sich niederlassen würden. Es sind auch praktische Ver¬
suche in diesem Sinne nicht ausgeblieben. Aber statt das Proletariat zu vermindern,
1) Wenn die Vollmondnacht ihre Lichtstrahlen über den Wald ergoß, so daß sie gleichsam wle
weiße, in süßen Traum einlullende Körner herabfielen. — 2) Das aktive hängen bat im Präteritum
eigentlich hängte. — 3) Besser wäre hier m i l ch i ch t---milchähnlich, als m il ch i g--milchenthal¬
tend. S. oben S. 18. A, 18. — 4) Der erhabene Schluß lenkt unsern Blick zum ewigen Welten¬
lenker empor. Alles Irdische, so schön und angenehm es uns immerhin sein mag, ist doch vorübergehend.
— aber die ewige Weltordnung bleibt: „Durch des Herrn Wort sind die Himmel gefestigt, und durch
den Geist seines Mundes all ihre Zierde." Psalm 32 (33), 6. In dieser herrlichen Naturschilderung
erkennt man bald den Dichter und Maler. Die Absätze 1 und 10 sind vollständige Gemälde.
Aber nicht bloß Landschaftsgemälde, sondern auch Seelengemälde stellt uns Stifter hier
vor Augen: man vgl. nur den alten Jäger Gregor, der so ganz mit dem Walde verwachsen ist, aber
NAht als wild er Jäger ; die neugierigen Knechte; besonders aber die noch ganz kindliche Johanna
und die etwas ältere Klarissa. Der 4 , 5., 10. und 11 Absatz erfordern einen gewandten Vor¬
leser (der die richtige Interpunktion statt der Gedankenstriche einzusetzen und zu beachten weiß). thun
aber dann auch eine bezaubernde Wirkung. — 5) Vgl. die betreffenden Werke von Grimm, Eich¬
horn, Phillips u A. — 6) d. i. so einfach natürlich, so ungekünstelt, s. unten ..Dichtungsarten"
§• 38. — 7) Proletarii hießen bei den Römern jene armen Einwohner, die dem Staate nicht mit Geld,
sondern bloß mit Kindern (proles) dienen konnten. — 8) Farmer (engl.) ein Pächter.