Die farbige Harmonie des Vogels mit Klima und Jahreszeit. 109
Doch ist eine für unsere Gegend merkwürdige Erscheinung nicht mit
Stillschweigen zu übergehen, nämlich die, daß diejenigen größeren Winter¬
vögel, welche ein durchaus offenes Leben führen und daher von weitem
sichtbar sind, ihre Farbe für die Winterzeit durchaus nicht verändern und
von dem weißen Schnee sich so grell wie möglich abheben. Es sind dieses
nämlich unsere schwarzen Vögel: Rabe, Krähe, Saatkrähe, Dohle,
Elster. Sie bleiben stets bei uns; ja, von den Drosseln ist die schwarze
Amsel der einzige Standvogel, und an den Gebirgsbächen trifft man zu
jeder Jahreszeit den Wasserschwätzer an. Alle sind schwarz, der letzte und
die Elster scheinen außerdem noch von einem Schneeball getroffen, der
einen Teil an ihnen zurückgelassen hat. Alles soll Harmonie sein, alle
Vögel sollen in ihrem Gefieder den farbigen Charakter ihrer Wohnstätte
wiederspiegeln, und hier der denkbar größte Kontrast, auf weißen Schnee-
feldern diese schwarzen Vögel! Bemerkenswert muß es uns schon sein,
daß die einzige zur Familie der rabenartigen Vögel gehörende Art, der
Heher, dessen Kolorit von dem Farbentone des Gefieders seiner Ver¬
wandten so außerordentlich abweicht, auch ein abweichendes Leben führt.
Er ist nicht Vogel der offenen Fläche, sondern des Gebüsches, des Waldes,
lebt also in einem Verstecke und kann sich daher nicht als Vertreter des
Vogellebens im Winter in erster Reihe präsentieren. Während zur
Wiuterzeit die kleineren grauen Vögel geschart wie Mückenschwärme umher¬
fliegen und so der Landschaft kein ruhiges farbiges Tierbild zu geben
imstande sind, oder, wie Meisen, Goldhähnchen, Baumläufer, Zaun¬
könig u. a. im Gestrüpp und dichten Gezweig sich versteckt halten, also vom
Schauplatz des Lebens zum Teil entfernt scheinen: spazieren unsere
größeren Vögel schwarz auf weiß offen umher zur Belebung der Gegend;
sie sind aus der Vogelwelt die eigentlichen zur Scenerie gehörenden Akteure,
welche wesentlichen Anteil am Charakter des Gesamtbildes nehmen. Sie
beleben allerdings unsere Fluren, aber sie verschönern sie nicht, sie heben
nicht den Eindruck des öden Winters; die Farben sind, namentlich im Gegen¬
satze zum weißen Schnee, äußerst tot, stumpf und erinnern unwillkürlich
an das dunkle, schwarze Grün der immergrünen Pflanzen, des Wachholeers,
des Epheus, der Nadelhölzer im Winter. Ebenso, wie das jugendlich frische
Grün des Buchenlaubes im Frühlinge uns zur Winterzeit als ein un¬
erklärlicher Widerspruch erscheinen könnte, wir aber das Düstere jener
ganz angemessen finden als Winterrepräsentanten des schlummernden
Lebens: ebenso scheinen uns die stumpfen Trauerfarben der genannten
weithin sichtbaren Vögel, denen wir noch den großen grauen Würger und
die aus höherem Norden bei uns häufig überwinternde weiße Bachstelze
anschließen können, im höchsten Grade dazu geeignet, den Winter nicht
freilich als den Tod des tierischen Lebens, wohl aber als monotone Ruhe
erscheinen zu lassen, ohne daß sie mit ihrem Kolorite, wie gesagt, aus dem
Totaleindrucke dieser Jahreszeit herausträten, ohne daß sie derselben einen
Anstrich der Sommerschönheit zu verleihen imstande wären. Nach meinem
Geschmacke ist keine als die Rabenfarbe, schwarz, weiß, grau, passend den
genannten Zweck so vollkommen zu erreichen, die feierliche Winterstille zum