Gewitter auf der Sinat-Halbinsel.
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Amerikaner her wehten uns Funken und Brände entgegen, drang Geschrei
und ängstliches Rufen an unser Ohr. Wie ein riesiges Gespenst mit weit¬
ausgebreiteten Armen jagte ein weißer Gegenstand gerade auf uns zu, das
Dach eines Zeltes unserer Reisegefährten. Die Araber fingen es auf.
Gebadet im wahren Sinne des Wortes, halfen wir, unbekleidet wie wir
waren, unseren Leuten. Blitz auf Blitz flammte hernieder und verwandelte
zeitweise die finstere Nacht zum Tage und zeigte uns immer in flüchtigen
Momentbildern die gleich uns obdachlosen Nachbarn. Indessen blieben
unsere Araber keinen Augenblick müßig. Sie hatten unser Zeltdach halb
eingefangen, den zerbrochenen Stab mit Stricken zusammengebunden und
bemühten sich mit dem größten Eifer, das zertrümmerte Bauwerk wieder
auszurichten. Anfänglich hatte mich die Unannehmlichkeit unserer Lage
und die Sorge um die Herstellung eines erträglichen Zustandes ganz ge¬
fangen genommen; als ich aber die Araber rüstig arbeiten sah und un¬
möglich noch nässer werden konnte, als ich es war, ging es mir wie dem
Badenden, der, nachdem er schaudernd in den kalten Strom gestiegen ist,
sich bald mit Behagen in dem feuchten Elemente bewegt. Das Unwetter,
das uns erschreckt hatte, fesselte nun durch seine unaussprechliche Erhaben¬
heit Auge und Herz. Wir lauschten auf die Posaunenstöße des Donners,
die in wahrhaft ohrenbetäubender Stärke unmittelbar den Blitzen folgten,
von dem Echo an den nackten Höhen dieser Felsenlandschaft vervielfältigt
wurden und entweder immer leiser werdend ausklangen, oder wie das von
langen Pausen unterbrochene Fortissimo eines wahnsinnigen Kapellmeisters
kamen und gingen. Noch bemerkenswerter als die Donnerschläge erschien
uns das Licht der Blitze. Es war, als fielen Feuermassen auf die Berg¬
spitzen in unserer Nähe hernieder. Ein großer starker Wind wehte, als
zerrisse er die Berge und zerbräche die Felsen, und in der Frühe des diesem
mächtigen Naturschauspiele folgenden Morgens stieg Ranch von allen Höhen
an der Seite des Wadi auf. Mag es auch nach der mangelhaften Schilde¬
rung , die ich hier von einem Gewitter aus der Sinai-Halbinsel zu geben
versuche, erscheinen, als habe es sich nur wenig von der ähnlichen elektrischen
Erscheinung in unseren Breiten unterschieden; so kann ich doch versichern,
daß man sich, selbst wenn man, wie ich, die Gewitter in unseren Alpen
kennt, von dem Donner, Blitz und Orkan in der Serbalgegend ebensowenig
eine rechte Vorstellung zu bilden vermag, als man sich rühmen kann, einen
Seesturm zu kennen, wenn uns ein tüchtiger Herbstwind in Thüringen einige
Ziegel vom Dache geweht oder einen Obstbaum im Garten geknickt hat.
Die Teilnahme an diesem Schauspiele ließ uns die Unbequemlichkeit
unserer Lage ganz vergessen, wie wohl bei der Ausführung einer Tragödie
die Empfindlichkeit körperlicher Schmerzen von der Teilnahme an dem
Schicksale des Helden so weit in den Schatten gestellt wird, daß sie uns
nicht mehr ins Bewußtsein tritt. Als sich endlich gegen 4 Uhr morgens
(das Gewitter hatte länger als zwei Stunden gedauert) die Wut der Elemente
besänftigt hatte, und es den Arabern gelungen war, unser Zelt notdürftig
wieder aufzuschlagen, begann sich die volle Unbehaglichkeit der Situation
erst recht fühlbar zu machen. Der Sturm, welcher uns selbst das Stehen-