Der Pfarrer von Ulrichskirchen.
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Gebete und hob mit Mühe die Hand, als ob er jemand segnen wollte;
allein schwer aufatmend ließ er sie wieder zurücksinken. Sein schwarzer
Talar war in Unordnung, hie und da stark geflickt, und unten schien es,
als hätte man ihn ins Blut getaucht. So war der Pfarrer von Ulrichs¬
kirchen.
Der Fremde betrachtete ihn gedankenvoll und sprach: „Man preist
die Helden, die, mit dem Schwerte in der Hand, sich dem Vaterlande
opfern; ja, man preist sie mit Recht und zeichnet sie ans vor Tausenden;
aber höhere Ehre gebührt dem, der, so wie dieser hier, still und unbekannt
Gutes thut und auch dem Vaterlande dient. Wer tröstet noch im Tode?
Wer führt dem Himmel Bürger zu? Das kann nur ein würdiger Priester.
O, daß die, welche die Macht haben, doch immer diejenigen finden könnten,
die so große Ansprüche auch auf zeitlichen Lohn haben! Glücklicher Erz¬
bischof Graf Hohenwart, der du solche Priester als deine Mitarbeiter
zählst!" — Nach diesen Worten wurde der Fremde rückwärts beim Rocke
gezupft. Er sah sich um, und vor ihm stand ein kleiner, kaum sechsjähriger
Waisenknabe in der Deutschmeisteruniform, der von dem Garten her ihn
erblickt hatte und in Besorgnis war, man könnte den Schlafenden stören.
„Du mußt hier weggehen," sprach der Kleine besorgt, „du könntest ihn
aufwecken. Nun so geh, gleich geh!" kommandierte er fest und mutig.
Der Fremde sah mit großer Wehmut und Milde auf den Knaben und
sprach für sich: „Auch eineWaise, ach der leidige Krieg !" — Dem Kleinen
wurde diese kurze Betrachtung schon zu lange, und ohne Umstände nahm
er ihn bei der Hand und zog ihn fort in den Garten, indem er unwillig
sprach: „Wirst du gleich gehen und unsern Vater schlafen lassen? schau,
schau." Über die anhängliche Liebe und Besorgnis des Kleinen mußte
der Fremde unwillkürlich lächeln, und indem er sich darüber freute, sprach
er zu dem Knaben: „Also hast du den Herrn Pfarrer so lieb?" — „Nu,
ob!" versetzte der Kleine. „Hast du den Kaiser auch so lieb?" frug der
Fremde ferner. „Mein Vater, der erschossen worden ist, da drüben (der
Kleine wies auf das Marchfeld hin), hat mir von ihm erzählt, ich hab' ihn
auch lieb und werde sein Soldat, wenn ich größer bin," antwortete der
Kleine.
Unterdessen waren auch die übrigen Waisen aus dem entfernteren
Teile des Gartens herbeigekommen und sahen neugierig den Fremden an.
In einem Nu war er von einer großen Schar von Mädchen und Knaben
umrungen. „Das auch noch!" sprach gerührt der Fremde, „wo ein
Heiliger, da sind auch die Scharen der Engel!" — „ Er hat wollen unsern
Vater wecken, der da," sagte trotzig und keck der Kleine, und alle Kinder
sahen unwillig auf den Fremden. „O wie reich ist ein würdiger Priester,"
fuhr der Fremde fort; „einem Monarchen wird meist nur Liebe geheuchelt,
diese da aber kennen keine Verstellung!" Hierauf wendete er sich an die
Schar der Kleinen und redete sie an: „Liebe Kinder, euer Vater ist kränk¬
lich, hat mit den kranken Soldaten viel zu thun, er ist zu arm, um euch
alle zu erhalten, ich aber bin ein reicher Mann und gekommen, euch alle
mitzunehmen und zu versorgen; wollt ihr mit mir gehen?"