Full text: [2 (Mittlere Lehrstufe)] (2 (Mittlere Lehrstufe))

Der Pfarrer von Ulrichskirchen. 
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Gebete und hob mit Mühe die Hand, als ob er jemand segnen wollte; 
allein schwer aufatmend ließ er sie wieder zurücksinken. Sein schwarzer 
Talar war in Unordnung, hie und da stark geflickt, und unten schien es, 
als hätte man ihn ins Blut getaucht. So war der Pfarrer von Ulrichs¬ 
kirchen. 
Der Fremde betrachtete ihn gedankenvoll und sprach: „Man preist 
die Helden, die, mit dem Schwerte in der Hand, sich dem Vaterlande 
opfern; ja, man preist sie mit Recht und zeichnet sie ans vor Tausenden; 
aber höhere Ehre gebührt dem, der, so wie dieser hier, still und unbekannt 
Gutes thut und auch dem Vaterlande dient. Wer tröstet noch im Tode? 
Wer führt dem Himmel Bürger zu? Das kann nur ein würdiger Priester. 
O, daß die, welche die Macht haben, doch immer diejenigen finden könnten, 
die so große Ansprüche auch auf zeitlichen Lohn haben! Glücklicher Erz¬ 
bischof Graf Hohenwart, der du solche Priester als deine Mitarbeiter 
zählst!" — Nach diesen Worten wurde der Fremde rückwärts beim Rocke 
gezupft. Er sah sich um, und vor ihm stand ein kleiner, kaum sechsjähriger 
Waisenknabe in der Deutschmeisteruniform, der von dem Garten her ihn 
erblickt hatte und in Besorgnis war, man könnte den Schlafenden stören. 
„Du mußt hier weggehen," sprach der Kleine besorgt, „du könntest ihn 
aufwecken. Nun so geh, gleich geh!" kommandierte er fest und mutig. 
Der Fremde sah mit großer Wehmut und Milde auf den Knaben und 
sprach für sich: „Auch eineWaise, ach der leidige Krieg !" — Dem Kleinen 
wurde diese kurze Betrachtung schon zu lange, und ohne Umstände nahm 
er ihn bei der Hand und zog ihn fort in den Garten, indem er unwillig 
sprach: „Wirst du gleich gehen und unsern Vater schlafen lassen? schau, 
schau." Über die anhängliche Liebe und Besorgnis des Kleinen mußte 
der Fremde unwillkürlich lächeln, und indem er sich darüber freute, sprach 
er zu dem Knaben: „Also hast du den Herrn Pfarrer so lieb?" — „Nu, 
ob!" versetzte der Kleine. „Hast du den Kaiser auch so lieb?" frug der 
Fremde ferner. „Mein Vater, der erschossen worden ist, da drüben (der 
Kleine wies auf das Marchfeld hin), hat mir von ihm erzählt, ich hab' ihn 
auch lieb und werde sein Soldat, wenn ich größer bin," antwortete der 
Kleine. 
Unterdessen waren auch die übrigen Waisen aus dem entfernteren 
Teile des Gartens herbeigekommen und sahen neugierig den Fremden an. 
In einem Nu war er von einer großen Schar von Mädchen und Knaben 
umrungen. „Das auch noch!" sprach gerührt der Fremde, „wo ein 
Heiliger, da sind auch die Scharen der Engel!" — „ Er hat wollen unsern 
Vater wecken, der da," sagte trotzig und keck der Kleine, und alle Kinder 
sahen unwillig auf den Fremden. „O wie reich ist ein würdiger Priester," 
fuhr der Fremde fort; „einem Monarchen wird meist nur Liebe geheuchelt, 
diese da aber kennen keine Verstellung!" Hierauf wendete er sich an die 
Schar der Kleinen und redete sie an: „Liebe Kinder, euer Vater ist kränk¬ 
lich, hat mit den kranken Soldaten viel zu thun, er ist zu arm, um euch 
alle zu erhalten, ich aber bin ein reicher Mann und gekommen, euch alle 
mitzunehmen und zu versorgen; wollt ihr mit mir gehen?"
	        
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