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spätere Übertreibungen und mißverstandne Traditionen des Plinius und
andrer zu halten.
Die macedonische Expedition, welche einen großen und schonen Teil
der Erde dem Einflüsse eines einzigen und dazu eines so hochgebildeten
Volkes eröffnete, kann demnach im 'eigentlichsten Sinne als eine wissen¬
schaftliche Expedition betrachtet werden: ja, als die erste, in der ein
Eroberer sich mit Gelehrten aus allen Fächern des Wissens, mit Natur¬
forschern, Landmessern, Geschichtsschreibern, Philosophen und Künstlern um¬
geben hatte. Unter deit geistreichen Begleitern des Königs glänzte vor allen
ein Verwandter des Aristoteles, Kallisthenes aus Olynth. Durch die ernste
Strenge seiner Sitten und die ungentessene Freiheit seiner Rede ward er
dem schon von seiner edeln und Hoheit Sinnesart herabgesunkenen Fürsten
wie dessen Schmeichlern verhaßt. Kallisthenes zog unerschrocken die Freiheit
dem Leben vor, und als man ihn zu Baktra in die Verschwörung des
Hermolaos und der Edelktiaben schuldlos verivickelte, ward er die unglück¬
liche Veranlassung zu der Erbitterung Alexanders gegen seinen früheren
Lehrer. Theophrast, des Olynthiers gemütlicher Freund unö Mitschüler,
hatte den Biedersinn, ihn nach seinem Sturze öffentlich zu verteidigen. Von
Aristoteles wissen wir nur, daß er ihn vor seiner Abreise zur Vorsicht ge¬
mahnt und, durch den langen Aufenthalt bei Philipp von Macedonien des
Hoflebens, tvie es scheint, sehr kundig, ihm geraten habe: „mit dem König
so weitig als möglich, und wenn es seilt müßte, immer beifällig zu reden."
Von anserwählten Männern aus der Schule des Stagiriten unterstützt,
hatte Kallisthenes, als ein schon in Griechenland mit der Natur vertrauter
Philosoph, in deil neu aufgeschlossiten weiteren Erdkreisen die Forschnngeit
seiner Mitarbeiter zu höheren Ansichten geleitet. Nicht die Pflanzenfülle
und das mächtige Tierreich, llicht die Gestaltung des Bodens oder die
Periodicität des Anschwellens der großen Flüsse konnten allein die Auf¬
merksamkeit fesseln; der Mensch unb seine Geschlechter in ihren mannig¬
faltigen Abstnsungen der Färbung und Gesittung mußten nach dem eignen
Ausspruche des Aristoteles als der Mittelpunkt unb Zweck der ge¬
samten Schöpfung erscheineil: „als komme der Gedanke des göttlicheil
Tenkells hielliedell erst in ihm zum Bewußtsein. " Aus dem Wenigen, was
Nils von deil Berichten des im Altertum so getadelten Onesikritos
übrig ist, ersehen wir, wie sehr man in der macedonischen Expedition, weit
zum Sonnenaufgang gelaiigend, verwundert war, zwar die von Herodot ge¬
nannten dunkelfarbigen, den Äthiopen ähnlichen indischen Stämme,
aber nicht die afrikanischen kraushaarigen Neger zu finden Mall beachtete
scharf dell Einfluß der Atmosphäre ans Färbung, die verschiedene Wirkung