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Neue und neuste Zeit.
auch ihnen Kräft' geben zu der Fahrt.
Draus hat der Rhein sein'n Abschied
genommen,
130 auf daß er bald ins Meer möcht' kommen
und ihm die fremde Zeitung bringen,
wie er um Ruhm werd' mit ihm
ringen,
weil man auf ihm fahr' auch so ge¬
schwind,
dazu ohn' Segel und ohn' Wind.
Um 7 Uhr abends langt das glückliche Schifflein am „Gießen," einem Wasserarm, der Siraß-
burg mit dem Rhein verbindet, an, wo sie von den Straßburgern voll Spannung erwartet werden.
Während ihrer Fahrt durch den Gießen werfen die Züricher unter die am Lande nebenherlaufenden
Kinder Semmelringe, „Züricher Brot"; als sie ausgestiegen, werden sie von zwei Ratsherren
feierlich empfangen und belobt und unter Drommeten- und Trommelschall in die Stadt zum
Abendessen geleitet. Der Breitopf wird aufgetragen, und siehe da, sein Inhalt ist noch warm,
gerade zum Essen recht. Am folgenden Tage führt man die Gäste zum Schießplan und zeigt ihnen
die Sehenswürdigkeiten der Stadt, vor allem das Münster mit seiner künstlichen Uhr. Zum ewigen
Angedenken und zur Mahnung für kommende Geschlechter wird der Breitopf, der einhundert und
zwanzig Pfund wiegt, in Straßburg aufbewahrt, und jeder Züricher erhält eine Fahne mit dem
Wappen der Stadt Straßburg. Am Samstag treten die Züricher die Heimreise zu Land an auf sechs
Wagen, die ihnen von den Straßburger Freunden gestellt waren. Zahlreiche Ratsherren zu Roß
und Bürger zu Fuß geben ihnen das Geleit bis Markbruck, wo „zur Letze" noch ein reichlicher
Abschiedstrunk gereicht wird.
In allen elsäßischen Städten, die sie berühren, wird den tapfern Schweizern ein herzlicher
und glänzender Empfang bereitet. In Zürich aber selbst herrscht große Freude, als die Bürger
glücklich wieder heimkehren.
135 Der Einzug war lustig zu schauen,
beider von Männern und von Frauen;
sie sprachen: „Nun wird man am Rhein
der Eidgenossen stets eingedenk sein,
man wird auch danach von Zürichern
sagen,
140 daß sie zu Land und Schiff sich wagen,
und daß gewiß Zürich müff' fein glück¬
selig
und Straßburg gewiß nicht unglückselig,
dieweil die Straß' auf Straßburg je
ganz glückhaft sei, wie man spür' hie
145 indem, daß man zum zweitenmal
so glücklich schiff' zusammen wohl.
Drum wir die Aare und Limmat preisen,
die uns den Rhein zum Nachbarn weisen;
auch preisen wir euch, Züricher Knaben,
150 die solche Nachbarn geführt haben.
Und Gott geb', daß die Nachbarschaft
so lang' in Freundschaft bleib' verhaft't,
so lang' die Ström' zusammenfließen
und unter einander sich begrüßen!
155 Gott woll' dieStadtStraßburg erhalten,
die vorlängst ward geehrt von Alten,
und die die jung' Welt auch nun ehret,
daß ihr Ehr' und Lob ewig währet,
und Zürich, von Ruhm teuer und reich,
160 und beid' bei Gott reich ewiglich!"
Solch's und dergleichen etlich' red'ten,
etlich' es heimlich wünschen thäten,
bis daß der Abend anzubrechen fing,
daß jeder fröhlich heimzu ging.
165 Nun will es mir auch Abend werden,
mein Stern neigt sich nun auch zur Erden,
Apollo, der Poeten Freund,
will auch nit wiederkommen heunt,
Merkurius, der Red'kunst hold,
170 blinzelt, als ob er schlafen wollt'.
Derhalben will ich auch mein Schreiben
zu Gnaden lassen gehn und bleiben,
und nun zuletzt dem liebeu Schiff,
welches geschwinder als meine Feder lief,
175 und der Gesellschaft, die viel mehr,
als ich schreiben kann, erlangt Ehr',
wünschen, daß sieRuhms halb empfangen,
was der Held Jason thät erlangen.
Sie sind nach keinem Gold gereist,
180 wie solches das goldene Vließ heißt,
sondern nach Ruhm und Freundschaft
ehrlich,
das war ihr goldener Widder herrlich,
und haben solches friedlich ersiegt,
nicht wie jene durch Gewalt erkriegt.
185 Drum hat mehr Ruhm die Züricher
Freundschaft,
denn die jasonisch argisch Gemeinschaft.
So lass' ich andre nun beschreiben
die Meerschiffahrt, die viel aufreiben,
ich aber hab' ein Glückschiff beschrieben,
190 welches das Glück selber hat getrieben,
von dem man sagen wird, alleweil
Straßburg von Zürich liegt dreißig Meil.
Hiemit schütz' Gott die Eidgenossenschaft
und ihre liebe Nachbarschaft.