Full text: Vierunddreißig Lebensbilder aus der deutschen Litteratur

3. Wolfram von Lschenbach. Der parzival. 
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nie würd' er davon abgelenkt, 
und sie in neuen Harm versenkt. 
So ward der junge Kn ab' geborgen, 
20 und einsam in der Wüst' erzogen, 
durch der Mutterliebe Sorgen 
um königliche Zucht betrogen 
Man ließ ihm nach, mit seiner Hand 
zu schnitzen Bogen sich und Pfeile. 
25 Das war den Vögeln nicht zum Heile; 
er tötet' alle, die er fand. 
Doch schoß er einen ihrer nieder, 
der kurz zuvor so süße Lieder 
gesungen noch, sah man den Kleinen 
30 mit Schmerzgebärden um ihn weinen. 
Er wusch am Fluß sich alle Morgen; 
noch wußte nicht sein Sinn von Sorgen; 
doch wenn der Vögel holder Sang 
ihm dann zu Ohr und Herzen drang, 
35 da schwoll die kleine Brust ihm. Hin 
lief weinend er zur Königin, 
doch fragte sie, was ihm geschehn, 
so wußt' er Rede nicht zu stehn, 
wie 's oft bei Kindern noch geschieht. 
40 Frau Herzeleide sorgenwach 
ging lang' umsonst dem Wesen nach, 
bis sie den Knaben einst ersieht, 
wie ganz verloren er in Träumen 
den Vögeln lauschet auf den Bäumen. 
45 Nun wohl erkennend, wie ihr Sang 
des Söhnleins Herz so sehnend zwang, 
schwur Haß den bösen Vögeln sie; 
und daß ihr Singen nie mehr hie 
ihr Kind betrübe, sandte Knechte 
50 sie aus, die Vöglein, gut' und schlechte, 
zu fangen all' und umzubringen. 
Doch Vöglein waren wohlberaten; 
gar manche schlüpften aus den Schlingen, 
und süßer nur durch Hain und Saaten 
55 schien nun ihr Liedchen zu erklingen. 
Der Knabe drauf zur Königin sprach: 
„Was stellt man doch den Vöglein nach? 
Weh, Mutter, wende ihre Not, 
gieb ihnen Frieden noch zur Stund'!" 
60 Die Mutter küßt' ihn auf den Mund 
und rief: „Wie könnt' ich das Gebot 
des höchsten Gottes auch verkehren, 
der sie zu Freuden nur erschuf!" 
Der Knabe horchte ihrem Ruf 
65 mit Acht und sagte: „Laß mich hören, 
Mutter mein, was ist das Gott?" 
„Mein Sohn, ich sag' dir sonder Spott," 
begann sie, „wie der Tag so licht 
ist er. von Menschenangesicht; 
70 ihn flehe an in jeder Not; 
denn stete Hilfe immer bot 
barmherzig er der Welt und liebend. 
Doch einer heißt der Hölle Wirt; 
schwarz ist er, Untren' stets nur übend. 
Wie der auch lockend dich umkirrt, 
stets wende von ihm die Gedanken, 
von ihm und von des Zweifels Wanken!" 
So lernt' er Licht und Finst'res unter¬ 
scheiden 
und Gutes üben und das Böse meiden. 
Gar herrlich wuchs der Knab' heran, 
mit Mut und Stärke angethan. 
Schon warf den Wurfspieß er gewandt, 
und mancher Hirsch ward froh verzehret, 
den er erlegt mit seiner Hand. 
Es fand das Wild sich arg beschweret 
durch seine Kunst; denn gleicherweise, 
ob blumensprossend, ob von Eise 
die Erde starrend war, ihm galt 
es einerlei -—- er ging zum Wald. 
Und also nahm er zu an Kraft, 
daß oft er heimkam so beladen, 
daß kaum ein Maultier ohne Schaden 
die Bente hätte weggeschafft. 
So ging er auch an einem Tag 
nach seiner Art dem Weidwerk nach, 
an einem Berghang niederschweifend 
und auf dem Blatt dem Wilde pfeifend; 
da tönte Hufschlag zu ihm her. 
Er greift geschwind nach seinem Speer 
und lauscht. „Was war's, das ich 
vernommen? 
Will etwa gar der Teufel kommen 
mit Zorues Grimm? er mag nur gehn! 
Ich würd' ihn sicherlich bestehn. 
Die Mutter Grauses von ihm sagt, 
doch mein' ich, an Mut ist sie verzagt." 
So stand er da voll Streitbegehr, 
sieh, da trotteten Ritter her, 
gewappnet alle gar und ganz, 
hell blitzend in der Sonne Glanz. 
Der Knabe wähnte sonder Spott, 
ein jeder ihrer sei ein Gott. 
Drum warf er nieder aus die Knie' 
sich mitten in den Weg und schrie: 
„Hilf Gott, denn du kannst Hilfe 
reichen!" 
Der vorderste hieß zornig weichen 
dem unberatenen Waleisen, 
der ihn im vollen Laufe still 
zu halten zwang mit seinen! Preisen. 
Noch lag der Knabe auf seinen Knieen, 
als noch ein Ritter, schön geziert, 
mit Eil' heran kam galoppiert. 
Es trug ein stattlich Streitroß ihn; 
er schien zum Kampfe ausgeritten; 
75 
80 
85 
90 
95 
100 
105 
110 
115 
120
	        
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