Full text: Vierunddreißig Lebensbilder aus der deutschen Litteratur

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Aus der Zeit der Reformation. 
8. Martin Luther. 
Die Darstellung von Luthers Leben und seine Würdigung als Reformator der Kirche gehört 
der Welt- und Kirchengeschichte an; Aufgabe dieses Buches ist es,^ seine hohe Bedeutung für 
die deutsche Litteratur zu zeigen. Nach dem Verfall der Minnepoesie löste sich das gemeinsame 
Band der Sprache, das die deutschen Stamme ohne Rücksicht des Standes umschlang, mehr und 
mehr; der immer schärfer hervortretende Gegensatz der Stände hatte auch eine Spaltung der 
Sprache in viele Mundarten zur Folge. Die große Gefahr einer völligen Zerbröckelung der Sprache 
und der gänzlichen Vernichtung dieses wichtigsten Bandes nationaler Zusammengehörigkeit ist 
durch Luther abgewandt 'worden, der aus mehreren Elementen eine neue, dem gesamten Volke 
verständliche Sprache, das Neuhochdeutsche, schuf. 
Am reinsten unter allen Mundarten hatte sich die obersächsische oder Meißner Mundart er¬ 
halten, wohl nicht zum mindesten darum, weil sie die amtliche Sprache der kursächsischen Kanzlei 
war. Diese nahm Luther als Grundlage und bereicherte sie durch Ausdrücke und Sprachsormen 
sowohl aus anderen ober- und niederdeutschen Mundarten, als auch aus den besseren theologischen 
Schriftstellern des 15. Jahrhunderts. („Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im 
Deutschen, sondern gebrauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide, Ober- und Nieder¬ 
länder verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, darum ist's auch die gemeinste 
deutsche Sprache.") Das Wichtigste aber war, daß Luther aus der Sprachquelle, die unversiegbar 
strömt, aus dem Volke, schöpfte. Er studierte das Volk in seinem ungezwungenen Verkehr- 
auf Markt und Gassen, in den Werkstätten und im Hause (A, 3), er ließ sich die technischen 
Bezeichnungen der Hantierungen und Geräte in den verschiedenen Berufsarten erklären, er 
sammelte unermüdlich Sprichwörter und volkstümliche Aussprüche, jene „Weisheit auf der Gasse", 
von der er wünschte, daß ein kluger und geschickter Mann sie in ein „Buch fassen" möchte, und 
forderte auch seine Freunde auf, fleißig zu sainmeln und die Ernte ihm zuzustellen. 
Bedenken seiner Freunde wies er wohl zurück mit den Worten: „Schloß- und Hofwörter 
kann ich nicht brauchen." 
Diese „gemeinste deutsche Sprache" bot er seinem Volke zunächst in der Bibelübersetzung, 
die er auf der Wartburg im Jahre 1522 begann. 1523 erschien das „Buch des neuen Testa¬ 
mentes deutsch mit schönen Figuren". Die vollständige Bibel erschien 1534 unter dem Titel: 
„Biblia, das ist die ganze heilige Schrift, deutsch. Mart. Luther. Wittenberg. Begnadet mit 
Kurfürstlicher zu Sachsen Freiheit. Gedruckt bei Hans Luft." Mit welcher Mühe und Sorgfalt 
er sein Werk vollbrachte, das geht aus den: „Sendschreiben vom Dolmetschen" (A, 3) hervor, worin 
er bezeugt, daß er und seine Mitarbeiter über manchem Verse, ja über dem Suchen nach einem 
einzigen Ausdrucke oft tagelang gesessen haben. Dem gelehrten Melanchthon war es dabei „um 
das Griechische" zu thun, Luther aber entgegnete ihm: „Mir ist es ums Deutsche!" Denn nicht eine buch¬ 
stäbliche Übersetzung, deren es schon mehrere gab, und die dem Volke den wahren Geist und Sinn 
des göttlichen Wortes nicht ausschließen konnte, wollte er schaffen, sondern eine Übersetzung, so 
herzlich und so innerlich wahr, als wenn Gott sein heiliges Wort in deutscher Sprache gegeben 
hätte, und doch so schlicht und einfach, daß sie auch den Niederen im Volke verständlich und ver¬ 
traut wäre.*) 
(Er giebt ihnen das neue Testament. Der Bauer 
schlägt es auf und liest darin. Andere drängen sich hin¬ 
zu und suchen mitzulesen.) 
st Vgl. Die Aufruhrscene der Bauern und Bilderstürmer in Herrigs „Luther". 
Luther: 
Frei will ich sie machen! Zu Gottes Ehr' 
sie versehen mit Waffen und Wehr! 
Bauer: 
Welche Waffen und Wehr sollen's sein? 
Luther: 
Das Wort Gottes! 
Bauer: 
Versteh' nicht Latein! 
Luther: 
Hier hast du's deutsch! 
Bauer: 
Deutsch Satz für Satz! 
Deutsch, wie ich selber red' und schwatz'! 
Luther: 
Deutsch, wie du's von deiner Mutter gehört: 
wie du deine Frau Liebste einst gefragt, 
wie sie dir viel Liebes und Schönes gesagt — 
Deutsch, wie du betest, wenn's Not dich lehrt!
	        
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