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wohnen, aber oft blutgierig den Menschen anfallen, für dessen Vertheidigung
ihre Stammväter kämpften.
6. Gleich der Wüste Sahara liegen die Llanos oder die nördlichste
Ebene von Südamerika in dem heißen Erdgürtel. Dennoch erscheinen sie in
jeder Hälfte des Jahres unter einer verschiedenen Gestalt: bald verödet,
wie das libysche Sandmeer, bald eine Grasstur, wie die hohe Steppe von
Mittelasien. Es ist ein belohnendes, wenngleich schwieriges Geschäft der
allgemeinen Länderkunde, die Naturbeschaffenheit entlegener Erdstriche mit
einander zu vergleichen und die Resultate dieser Vergleichung in wenigen
Zügen darzustellen. Mannigfaltige, zum Theil noch wenig entwickelte Ur¬
sachen vermindern die Dürre und Wärme des neuen Welttheils. Schmal¬
heit des mannigfaltig eingeschnittenen Kontinents, seine weite Ausdehnung
gegen die beeisten Pole hin, der freie Ocean, über den die tropischen Winde
wegblasen, Flachheit der östlichen Küsten, Ströme kalten Meereswassers,
welche vom Feuerlande bis gegen Peru hin nördlich vordringen, die Zahl
quellenreicher Gebirgsketten, deren schneebedeckte Gipfel weit über alle
Wolkenschichten emporstreben, die Fülle ungeheurer Ströme, welche nach
vielen Windungen stets die entfernteste Küste suchen, sandlose und darum
minder erhitzbare Steppen, undurchdringliche Wälder, welche die stußreiche
Ebene am Äquator ausfüllen, und im Innern des Landes, wo Gebirge
und Ocean am entlegensten sind, ungeheure Massen theils eingesogenen
theils selbsterzeugten Wassers aushauchen: alle diese Verhältnisse gewähren
dem flachen Theile von Amerika ein Klima, das mit dem afrikanischen
durch Feuchtigkeit und Kühlung wunderbar kontrastirt. In ihnen allein
liegt der Grund jenes üppigen, saftstrotzenden Pflanzenwuchses, welcher den
eigenthümlichen Charakter des neuen Kontinents bezeichnet.
7. Wird daher eine Seite unsers Planeten luftfeuchter als die andere
genannt, so ist die Betrachtung des gegenwärtigen Zustandes der Dinge
hinlänglich, das Problem dieser Ungleichheit zu lösen. Der Physiker braucht
die Erklärung solcher Naturerscheinungen nicht in das Gewand geologischer
Mythen zu hüllen. Es bedarf der Annahme nicht, als habe sich auf dem
uralten Erdkörper ungleichzeitig geschlichtet der verderbliche Streit der Ele¬
mente, oder als sei aus der chaotischen Wasserbedeckung Amerika später als
die übrigen Welttheile hervorgetreten, ein sumpfreiches, von Krokodilen und
Schlangen bewohntes Eiland. Allerdings hat Südamerika nach der Ge¬
stalt seines Umrisses und der Richtung seiner Küsten eine auffallende Ähn¬
lichkeit mit der südwestlichen Halbinsel des alten Kontinents. Aber innere
Struktur des Bodens und relative Lage zu den angrenzenden Lündermassen
bringen in Afrika jene wunderbare Dürre hervor, welche in unermeßlichen
Räumen der Entwickeluu.g des organischen Lebens entgegensteht. Vier Fünf¬
theile von Südamerika liegen jenseits des Äquators, also in einer Hemi¬
sphäre, welche wegen der größern Wassermenge und wegen mannigfaltiger