Full text: Deutsches Lesebuch für obere Gymnasialklassen

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Angelegenheiten widmete, einer Zeit, die das heroische Zeitalter 
genannt wird. Auf dem Berge Olympus, dem Gipfel der nörd¬ 
lichen Gebirge Griechenlands, welcher in den Himmel hinaufzu¬ 
steigen schien, herrscht eine Götterfamilie, deren Haupt Zeus ist, 
der die andern, wo er es nöthig findet, zu Rathsversammlungen 
beruft, sowie Agamemnon die Fürsten. Er weiß das Geschick, lenkt 
es, und als König der Götter giebt er auch den Königen der Erde 
ihre Würde und Ehre. Neben ihm eine Gemahlin, deren Stellung 
fie zu einem bedeutenden Antheil an seinem Range und seiner Herr¬ 
schaft berechtigt, und eine männlich geartete Tochter, eine Heer¬ 
führerin in Schlachten und eine Beschützerin der Burgen, die durch 
kluge Rathschläge das Vertrauen croient, welches ihr Vater ihr zu 
Theil werden läßt; außerdem noch eine Anzahl Geschwister und 
Kinder, von denen ein jedes in der göttlichen Haus- und Hof¬ 
haltung ein angewiesenes Amt und ein bestimmtes Geschäft hat. 
Im Ganzen aber ist die Aufmerksamkeit dieser Götterfamilie haupt¬ 
sächlich den Schicksalen der Völker und Städte und ganz besonders 
den Unternehmungen und Abenteuern der Helden zugewendet, die, 
selbst großentheils aus dem Blute der Götter entsprossen, die 
verknüpfenden Mittelglieder zwischen jenen und dem großen 
Haufen der gewöhnlichen Menschheit bilden. 
Gewiß befriedigte eine solche Vorstellung vollkommen die 
Fürsten von Ithaka oder einem andern griechischen Lande, die sich 
in der Halle ihres Oberkönigs zu gemeinsamen Mahlen versam¬ 
melten und denen ein Phemios den neuesten Gesang von kühnen 
Heldenabenteuern vorsang. Aber was konnte eine solche Reli¬ 
gion dem schlichten Landmann sein, der bei Aussaat und Ernte, 
während der Winterstürme und der Sonnenglut, sich von gött¬ 
licher Hülfe beschützt glauben wollte, dem es ein inneres Bedürf¬ 
niß war, den Göttern für alle einzelnen Arten des ländlichen Se¬ 
gens, für die Abwendung jeder Gefahr von der Saat und dem 
Vieh, seinen Dank darzubringen? Wie dem heroischen Zeitalter 
des griechischen Volks ein anderes vorausgegangen ist, in wel¬ 
chem der Anbau des Bodens und die natürliche Beschaffenheit 
der verschiedenen Gegenden die Aufmerksamkeit am meisten in An¬ 
spruch nahmen, ein Zeitalter, welches man das pelasgische nen¬ 
nen könnte, so giebt es auch genug Spuren und Ueberreste von 
einem Zustande der griechischen Religion, in welchem die Götter 
besonders in den Veränderungen des Jahres, in den Erscheinun¬ 
gen der Natur thätig und wirksam gedacht wurden. Die Phan-
	        
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