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ur etwas Materielles sucht und für die Einwirkung der Kunstform nicht 
hinlänglich empfänglich ist.“ Schiller würde ganz dem letzteren beigestimmt 
haben. Er floh schon in seiner Jugend die Naturwahrheit in Shakespeare, 
die ihm voll Kälte schien, er flüchtete sich in seiner späteren Periode zu den 
Griechen, deren Kothurn!) ihm mehr zusagte. Seit er den „Odipus auf Kolonos“ 
las, schwebte ihm ein ganz neues Ideal vor; jetzt ward er ein Neider der 
„Iphigenie“ Goethes, und Aschylus' Stücke in Stolbergs Übersetzung begeisterten 
ihn zur Produktion, und hinfort suchte er in Shakespeare gern auf, wie er 
des Aristoteles Forderung Genüge tat, und in seinen historischen Stücken 
interessierten ihn die Nemesis und die Behandlung der Volkscharaktere, wo 
der Stoff den Dichter zwang, gegen seine Gewohnheit mehr Gattungen a 
Individuen darzustellen, und wo er die meiste Annäherung an die Alten zeigt. 
So suchte er und fand sich seine Stellung völlig in der Mitte zwischen den 
zwei Hauptepochen, Hauptformen und Hauptcharakteren, welche die Tragödie 
gehabt hat. Seine Beschränkung auf die tragische Gattung gestattete ihm nicht 
mit jener protéischen?) Wandelbarkeit Goethes alle Formen zu versuchen und 
nachzuahmen; er ergriff mit Einsicht und Wahl die beiden Hauptgestalten, 
welche die wesentlichsten Vorzüge der Gattung zusammenrückten, und verband 
sie mit solcher Originalität, wie sie im Angesicht so vieler verführerischen 
Muster, in einer so späten Zeit kaum denkbar war. Er brachte die 
Shakespearische Fülle, die der Einförmigkeit des antiken Trauerspiels entgegenlag, 
und die alte Form, die der epischen Mannigfaltigkeit des historischen Dramas 
widersprach, mit eigener Virtuosität einander nahe, und seine Charaktere halten 
sich in einer Mitte von der typischen Art der Alten und der individuellen des 
Shakespeare. Jean Paul fand, daß niemand nach Shakespeare so sehr als 
Schiller die historische Auseinanderstreuung der Menschen und Taten so kräftig 
zu einer dramatischen Phalanx zusammengedrängt habe, und als Goethe den 
„Wallenstein“ in Shakespeares Sprache übersetzt las, ging ihm „die große 
Analogie zweier vorzüglicher Dichterseelen auf“. Das historische Drama war 
ihm eine Zeitforderung, die er ehrte und respektierte; er wies daher die 
Anmutung, sich der Sophokléischen Form enger anzuschließen, entschieden zurück; 
das lebendige Produkt einer individuell bestimmten Gegenwart einer ganz 
heterogenen Zeit zum Maßstab und Muster aufdringen, hieß ihm die Kunst, 
die immer dynamisch?) und lebendig entstehen und wirken muß, eher töten als 
beleben Nur bedingt gab er die Goethische Forderung zu, das Jahrhundert 
der Produktion ganz zu vergessen; aber er tat das Mögliche, um auch 
die hochsten Effekte der Kunst in ihrer reinsten Form neben der Bequemung 
nach den Zeitbedürfnissen zu berücksichtigen; und dies entfernte ihn wieder von 
Shakespeare und ließ ihn darauf denken, den Chor zurückzuführen und sich 
an Aristoteles' Schema anzuschließen. So erscheint er überall, wie wir früher 
sagten, zwischen Shakespeare und Sophokles in der Mitte, gleich entfernt 
on der einförmigen Gestalt der alten Stücke, in denen die Katastrophe das 
Ein und Alles ist, und von dem Charakter der ursprünglichen dramatischen 
Historie, von dem an den Shakespearischen Stücken vieles hängen blieb. Er 
verband alse zwei heterogene Gattungen; und ganz gegen Goethes Sinn, 
Ntragisches Pathos. — ) Der Meergott Proteus verm i 
r erzählt, alle mö une ee
	        
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