Full text: Deutsche Dichtung im Mittelalter (Abt. 1)

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Gottsrreö von Straßburg. 
Tristan. 
Gottfried von Straßburg war kein Ritter; er entstammte einem 
Straßburger Patriziergeschlecht und bekleidete das bedeutsame Amt eines 
Stadtschreibers seiner Vaterstadt. Den „Tristan" dichtete er um 1210 nach 
einem französischen Werke. Das Gedicht steht in vollem Gegensatze zu 
Wolframs „Parzival"; während Wolfram in seinem Helden sittliche Größe 
und den Adel der Gesinnung preist, predigt Gottfried heiteren Lebensgenuß. 
Tristan ist der Sohn des Königs Rivalin von Parmenie; nachdem sein 
Vater im Kampfe mit dem Könige Morgan gefallen und seine Mutter Blanche- 
flur aus Gram darüber gestorben ist, wird der Knabe von dem treuen Marschall 
Rual erzogen. Kaufleute entführen den vierzehnjährigen Knaben, setzen ihn 
aber, durch einen Sturm geängstigt, an der Küste von Kurnewale ans Land. 
König von Kurnewale ist Marke, Tristans Oheim, der den Knaben aufnimmt, 
ohne seine Herkunft zu kennen. Da findet Rual den Knaben, den er lange 
vergebens gesucht hat, und erfreut Marke mit der Entdeckung, daß Tristan 
sein Neffe sei. Tristan wird darauf in den Ritterstand erhoben. Bei der Schwert¬ 
leite gedenkt Gottfried der bedeutenderen zeitgenössischen Dichter. (Siehe unten.) 
Tristan zieht dann in seine Heimat, tötet den König Morgan und übergibt das 
Land dem Marschall Rual als Lehen. Nach Kurnewale zurückgekehrt, besteht 
er einen Kampf mit Morolt, dem Schwager und Abgesandten des Königs 
Gurmun von Irland, dem Marke einen jährlichen Tribut von dreißig Knaben 
stellen muß. Tristan erschlügt den Morolt und befreit das Land von der chn 
empörenden Schmach. Da nun Marke den jungen Tristan allen anderen vor¬ 
zieht und ihn zum Erben seines Reiches einsetzen will, so entsteht großer Un¬ 
wille unter den Lehnsleuten; dem Sturme zuvorzukommen, rät Tristan selbst 
seinem Oheim sich zu vermählen, und empfiehlt ihm als Gemahlin die schöne 
Jsolt, eine Tochter des Königs Gurmun. Er selbst übernimmt die Braut¬ 
werbung. Nachdem er durch einen rühmlichen Kampf mit einem Drucken den 
Groll des Königs Gurmun besiegt hat, gelingt es ihm, die Zustimmung des 
Königs zu der Werbung zu erlangen, und Jsolt geht mit ihm zu Schiffe. 
Die Königin übergibt einer Begleiterin der Jsolt einen Zaubertrank, von dem 
Marke und seine Gemahlin trinken sollen, damit ihre Liebe zueinander unwandel¬ 
bar sei. Es geschieht aber, daß Tristan und Jsolt, die den Neffen ihres 
künftigen Gemahls noch immer wegen ihres erschlagenen Oheims aufs tiefste 
haßt, unwissend von dem Zaubertranke trinken, und sogleich werden sie von 
leidenschaftlicher Liebe zueinander ergriffen. Die Schwärmerei der Liebe macht 
sie aufs höchste selig und unselig. Jsolt wird Markes Gemahlin, aber weder 
sie noch Tristan können sich von dem Zauber, in den sie verstrickt sind, befreien, 
wiewohl sie mit aller Kraft des Willens sich zu überwinden suchen. Ohne 
den Zwiespalt abzuschließen, bricht Gottfried ab. (Das Gedicht hat in späterer 
Zeit mehrere Fortsetzer gefunden.)
	        
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