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des Geistes; das Geschlecht versank in greuelhafte Sünden, und als Gott sah,
daß alles Fleisch seinen Weg verderbt hatte auf der Erde, gereuete es ihn seiner
Schöpfung und er sprach: „Mein Geist soll nicht bleiben in dem Menschen ewig;
denn er ist Fleisch!" ft Und die Sündflut vertilgte das entartete Geschlecht,
ohne in den wenigen Geretteten die Wurzel des Bösen zu tilgen. So war nun
der Tempel Gottes in der Menschheit wieder entweiht und zerstört und der hei¬
lige Geist aus ihr gewichen. Und doch konnte er, der Liebende, sie nicht ganz
verlassen. Wie er einst über den chaotischen Wassern der Sündflut geschwebt
hatte, so schwebte er auch jetzt wieder, auf eine neue Schöpfung sinnend, über
den Wassern der Völkerströmung fort, und von Geschlecht zu Geschlecht bereitete
er sich irgend ein reines Haupt, auf dem er sich niederlassen konnte, um mit dem
Ölzweige der Hoffnung auf die künftige neue Schöpfung und Begeistigung durch
den Erlöser hinzudeuten. Angefächelt von seinem Flügelschlage, berührt von
seinem Hauche, sprachen dann die Propheten begeisterte, geheimnisvolle Worte
von der großen Zukunft. Dann sang David „von dem Geiste, den der Herr
uussenden, der alles neu schaffen und das Antlitz der Erde erneuern werde, von
dem Erlöser, der als Besieger des Todesgefängnisses in die Höhe des Himmels
hinauffahren und dort geistige Gaben für die gesamte Menschheit empfangen
werde." ft Jsaias sang „von dem Zweige, der aus der Wurzel Jesse sprossen,
und aus welchem ruhen werde der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und
des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis
und der Gottseligkeit, von dem Wasser geistiger Erquickung, das dann alle froh¬
lockend schöpfen werden aus dem Brunnen des Erlösers," ft Jeremias „von dem
neuen Bunde, den der Herr mit seinem Volke schließen, und wie er sein Gesetz
in ihre Herzen schreiben, und alle ihre Sünden vergessen und er ihr Gott sein
werde, und sie sein Volk," ft Ezechiel „von dem neuen Herzen und dem neuen
Geiste, die anstatt des steinernen Herzens den Menschen werden gegeben wer¬
den," ft und Joel „von dem Geiste Gottes, der alsdann werde ausgegossen wer¬
den über alles Fleisch." ft
Und als nun die Fülle der Zeiten erschien, da war es wieder der Geist
Gottes, der dem Sohne Gottes den Tempel baute in dem jungfräulichen Schoße
Mariä; er war es, der Johannes den Täufer schon im Mutterleibe heiligte und
ihn rüstete zum Herolde des von den Propheten verkündigten, nun herannahenden
neuen Gottesreiches. Er war es, der bei der Taufe im Jordan in Taubengestalt
auf den Herrn herabschwebte und ihn dem Täufer bezeichnete als den Begründer
und Herrn des Reiches, „der als das Lamm Gottes die Sünden der Welt tra¬
gen, und taufen werde, nicht bloß mit Wasser, sondern mit Feuer und dem hei¬
ligen Geiste." ft Und als nun die göttliche That der Erlösung durch den Tod
des Gottmenschen am Kreuze vollbracht und durch seine Auferstehung und Him¬
melfahrt besiegelt war, da war es der vom Vater und vom Sohne gesandte hei¬
lige Geist, der in Wesens- und Willens-Einheit mit dem Vater und Sohne die
Fortführung und Vollendung dieses großen Werkes übernahm, die Ausbreitung
des Reiches Gottes, den Bau der Kirche, die Heiligung der Menschenseelen, wie
Christus der Herr es seinen Jüngern verheißen hatte. „Ich werde den Vater
bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, den Geist der Wahrheit,
den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt; ihr
aber werdet ihn kennen; denn er wird bei euch wohnen und in euch sein; er wird
1) 1. Mos. 6. 3. 2) Psalm 103, 30 ; 87, 19; Ephes. 4, 8. 3) Jes. 12, 3: vgl. Job. 7, 37. 4) Jer. 31, 33.
L) Ezech. 11, 49. 6) Joel 2, 23. 7) Joh 1, 23; Matth. 3, 11.