442
hatte sich Joseph II. als Ziel die Wiederbelebung des Kaiser¬
thums gestellt, das nur noch ein Name ohne wirkliche Macht war.
Aber seinen Reformplänen trat das Mißtrauen der deutschen Staaten
hindernd in den Weg. Friedrich II. arbeitete dem Kaiser auf alle Weise
entgegen und war die Seele des Widerstandes, der einen Reformplan des
Kaisers nach dem andern durchkreuzte. Joseph II. faßte darauf Pläne
für die Vergrößerung und Abrundung seiner ihm einst zufallenden Erb¬
staaten. Aber auch seine Absichten auf die Erwerbung Baierns
wurden durch Friedrich II. vereitelt.
Bei dem Tode seiner Mutter erhielt Joseph II. einen ganz anderen.
Wirkungskreis als bisher. Ohne die äußere Politik aus dem Auge zu
verlieren, wandte er doch seine Hauptthätigkeit auf die inneren An¬
gelegenheiten seiner Erblande. Sein Grundgedanke war, aus
seinen weitläufigen, theilweise weit entlegenen Ländern mit der verschie-
denartigsten Bevölkerung einen Staat im Sinne seiner Zeit und nach
dem Vorbilde des preußischen zu schaffen, wo möglich sein Vorbild zu
übertreffen. Maria Theresia hatte ihre durch Sitte und Sprache
von einander verschiedenen Völker mit gleicher Liebe umfaßt; sie hatte
mancherlei Verbesserungen eingeführt, den Staatshaushalt und das Ab-
gabenwesen geregelt und dadurch die Kraft des Staates bedeutend er¬
höht; sie hatte die Frohndienste gemildert, Tortur, Hexenprozesse und
Inquisition abgeschafft, Normalschulen und Erziehungsanstalten ange-
legt, Ackerbau und Handel befördert; sie hatte aber selten das Alte mit
der Wurzel ausgeriffen, sondern meistens nur einzelne Mißbräuche ab-
gestellt. Joseph II. war von dem Materialismus des Zeitgeistes durch¬
drungen. Er war bekannt mit den Grundsätzen der französischen Schrift¬
steller, besonders der Physiokraten, der Verfasser der Encyklopädie und
anderer, die in dem bestehenden gesellschaftlichen Zustande große Umwäl¬
zungen beabsichtigten. Er wollte, durch die reinsten und edelsten Beweg¬
gründe getrieben, die ganze Regierung, Verwaltung, Gesetzgebung und
Justiz, sowie die Erziehung, den Unterricht und das kirchliche Wesen
seiner Staaten umändern. Aber das, wonach er zum Wohle seiner
Völker strebte, stantz in Widerspruch mit dem Geiste, den Gewohnheiten
und der Bildungsstufe derselben. Er mußte, um das Bestehende umge¬
stalten zu können, zur Gewalt seine Zuflucht nehmen und also oft ge¬
gen seinen Willen ein Tyrann sein. Auch erhielt Joseph für seinen
schöpferischen Drang zu spät, erst im vierzigsten Jahre, den Spielraum,
den er für seine bildende Thätigkeit suchte. Der Gedanke an die Kürze
der Zeit und die Größe seiner Aufgabe ries bei ihm eine Raschheit des
Regierens, eine Neigung zu Entwürfen und eine Uebereilung in der
Ausführung hervor, die einen nicht geringen Antheil an dem unglück¬
lichen Ausgange seiner Unternehmungen hatten. Er theilte mit seinen
Zeitgenossen die irrthümliche Ansicht, daß auf-dem papiernen Grunde
der Theorie und deß Verordnens ein dauerhaftes Staatsgebäude errichtet
werden könne. Auch erschwerte er sich selbst alles, was er unternahm,
dadurch, daß er stets nur seinem eigenen Sinne folgte und deshalb
manche Einrichtung machte, welche hernach seinen wohlmeinenden Ab-
sichten nicht entsprach. Er trieb das Streben, alles selbst zu sehen, viel
zu weit und ins Kleinliche. Ec umgab sich in seinem Kabinet bloß mit
Sekretären, arbeitete mit unausgesetzter Thätigkeit Tag und Nacht und