Full text: Deutsche Lyrik des 19. Jahrhunderts

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Eduard Mörike. 
Schön-Rohtraut. 
Wie heißt König Ringangs Töchterlein? 
Rohtraut, Schön-Rohtraut. 
Was tut sie denn den ganzen Tag, 
Da sie wohl nicht spinnen und nahen mag? 
Tut fischen und jagen. 
O daß ich doch ihr Jäger wär'! 
Fischen und Jagen freute mich sehr. 
— Schweig stille, mein Herze! 
Und über eine kleine Weil, 
Rohtraut, Schön-Rohtraut, 
So dient der Knab auf Ringangs Schloß 
In Jägertracht und hat ein Roß, 
Mit Rohtraut zu jagen. 
O daß ich doch ein Königssohn wär'! 
Rohtraust, Schön-Rohtraut lieb' ich so sehr. 
— Schweig stille, mein Herze! 
Einstmals sie ruhten am Eichenbaum, 
Da lacht Schön-Rohtraut: 
Was siehst mich an so wunniglich? 
Wenn du das Herz hast, küsse mich! 
Ach! erschrak der Knabe! 
Doch denket er: mir ist's vergunnt, 
Und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund. 
— Schweig stille, mein Herze! 
Darauf sie ritten schweigend heim, 
Rohtraut, Schön-Rohtraut; 
Es jauchzt der Knab in seinem Sinn: 
Und würd'st du heute Kaiserin, 
Mich sollt's nicht kränken: 
Ihr tausend Blätter im Walde wißt, 
Ich hab Schön-Rohtrants Mund geküßt! 
— Schweig stille, mein Herze! 
Das verlassene Mägdlein. 
Früh, wann die Hähne krähn, 
Eh die Sternlein verschwinden, 
Muß ich am Herde stehn, 
Muß Feuer zünden.
	        
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