Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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Da schläft es ein mit nachbetendem Mund. 
Die Mutter spricht. „Mein Kind schlaf gesund!" 
Dann schafft sie dem Bettler ein Lager herzn, 
Die Leute wünschen ihm gute Ruh, 
Und, vor der kalten Nacht geborgen, 
In der Hütte zu schlafen bis zum Morgen. 
Da ruht der Herr nun gern allein, 
Es scheint der Mond ihm hell herein. 
Und als der Morgen begunnte zu tagen, 
Steht er auf, sich hinwegzutragen, 
Dieweil verlöschen der Sterne Kerzen, 
Und scheidet, sie segnend in seinem Herzen: 
„Bleibt immer arm, ihr guten Leut'! 
Den Armen ist Gott nimmer weit. 
Stets weich und menschlich fühlt ihr Gemüth, 
Wie selten das Herz dem Reichen glüht. 
Und dulden sie Manches auf Erden gleich, 
Den Armen ist das Himmelreich." 
c1 Lchefer. 
i>. Ewigkeit. 
In einem Kloster, das im Schwedenland 
Hart an den Marken zauberkund'ger Finnen 
Der Vorhut gleich von Christi Streitern 
stand, 
Lebt' einst — zwölfhundertjähr'ge Nebel 
spinnen 
Sich um die Sage — Petrus Forschegrund, 
Ein Meister, ernsten Räthseln nachzusinnen. 
Die Laute, die, so weit der Erde Rund, 
Durchwebt von Seufzern auf zum Himmel 
steigen, 
Der Völker Sprachen hegte Petri Mund. 
Die Zukunft las er aus der Sterne Reigen, 
Und ob im Thierkreis feindlich oder mild 
Dem Neugebornen sich Aspekte zeigen. 
Die Wunderkraft, die dem Juwel entquillt, 
Wenn ihm der Runen Zauber aufgepräget; 
Das Wort, das nur der rechten Stunde gilt; 
Den Saft, der sich im Mark der Pflanze 
reget, 
Erkennt er, Wurzel, Dolde, Schale, Kern, 
Die schleichend Gift, die Gegengift geheget. 
Und dennoch, wie in Wolkennacht ein Stern, 
Versank sein Geist in nebelhaftes Brüten — 
Der Demuth Friede blieb dem Forscher fern. 
Einst, als im Morgenlicht die Wipfel 
glühten, 
Schritt Petrus sinnend aus dem Klosterthor; 
Es war im Lenz, und Wald und Anger 
blühten. 
Im Laube schmetterte der Vögel Chor, 
Kein Wölkchen schattete des Himmels Bläue, 
Da richtete der Mönch den Blick empor: 
,,O Herr, so kehrt dein Frühling denn 
auf's Neue — 
Dem Sommer folgt der Herbst, bis Winter 
dann 
Das Feld mit flock'gem Silber überstreue. 
Doch deiner Ewigkeit erstarrten Bann — 
Dies stete Gleich-unendlicher Gedanke, 
Den nur die Gottheit selbst umspannen 
kann. — 
Kein Menschenherz — ich fühl's, mein 
Glaube schwanke — 
Erbarme dich, Herr! gieb mir einen Stab, 
An dem mein blöder Geist empor sich ranke! 
Ich scheue nicht den Tod, so nah' dem Grab, 
Nur vor dem Ew'gen Eins muß ich verzagen, 
Theilt es äonenlang kein Wechsel ab. 
Nicht Schlaf, nicht Wachen, keine Lust, 
kein Klagen, 
Auf deine Herrlichkeit fort, immerfort 
Zu schauen, wessen Sinn vermag's zu tragen? 
Und Ewig! — Ewig! Sinnverwirrend 
Wort! 
Wem schon zu trag’ des Tages Stunden 
schleichen, 
Wird ihm zur Folier nicht dies ew'ge Dort?" 
Da blickt er auf. Verschwunden sind die 
Eichen, 
Schwermüth'ger Föhrenwälder Immergrün 
Verdrängt ein Blüthenwald von Myrten¬ 
sträuchen. 
Die Ceder schwingt sich in die Lüfte kühn, 
Wollüstig wiegen Palmen ihre Kronen, 
Die Blüthen duften, die Orangen glühn.
	        
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