Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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Ergriff er seines edeln Vetters Hand 
Und zog ihn zu sich auf den Königssitz. 
Und in den Ring der Fürsten trat sofort 
Die fromme Kaiserwitwe Kumgund, 
Glückwünschend reichte sie dem neuen König 
Die treubewahrten Reichskleinode dar. 
Zum Festzug aber schaarten sich die Reih'n, 
Voran der König, folgend mit Gesang 
Die Geistlichen und Laien, so viel Preis 
Erscholl zum Himmel nie an einem Tag. 
War' Kaiser Karl gestiegen aus der Gruft, 
Nicht freudiger hätt' ihn die Welt begrüßt. 
So wallten sic den Strom entlang nach Mainz, 
Woselbst der König im erhabnen Doin 
Der Salbung heil'ge Weihe nun empfing. 
Wen seines Volkes Ruf so hoch gestellt, 
Dem fehle nicht die Kräftigung von Gott! 
Und als er wieder aus dem Tempel trat, 
Erschien er herrlicher, als kaum zuvor. 
Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.— 
Mtand. 
11. Der kleine Hydriot. 
Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein, 
Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein 
Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand 
Und in die Fluchen tauchen bis nieder auf den Sand. 
Ein Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab, 
Und dreimal mußt' ich's holen, eh' er's zum Lohn mir gab. 
Dann reicht' er mir ein Ruder, hieß in ein Boot mich gehn, 
Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn, 
Wies mir, wie man die Wogen mit scharfem Schlage bricht, 
Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht. 
Und von dem kleinen Kahne ging's fli'gs ins große Schiff; 
Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff. 
Ich saß auf hohem Maste, schaut' über Meer uud Land, 
Es schwebten Berg' und Thürme vorüber mit dem Strand. 
Der Vater hieß mich merken auf jedes Vogels Flug, 
Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken Zug; 
Und bogen dann die Stürme den Mast bis an die Fluth, 
Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut, 
Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht, — 
Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht, — 
Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so roth: 
Glück zu auf deinem Maste, du kleiner Hydriot! — 
Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand, 
Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland. 
Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu den Zeh'n, 
Mir war's, als thät sein Auge hinab ins Herz mir seh'n. 
Ich hicU mein Schwert gen Himmel, und schaut ihn sicher an, 
Und däuchte mich zur Stunde nicht schlechter, als -in Mann. 
Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so roth: 
Glück zu mit deinem Schwerte, du kleiner Hydriot! 
W. Müller. 
12. Johannes Kant. 
Den kategorischen Imperativus fand, 
Das weiß ein jedes Kind, Immanuel Kant. 
Dem kategorischen Imperativus treu, 
Zwang durch ihn wilde Seelen zu frommer 
Scheu 
Lang vor Immanuel Herr Johannes Kant. 
Und Wenige wissen's, wie die Sache bewandt. 
Derielb' ein Doctor Theologiä war 
In schwarzerKutte, mit langem Bart und Haar, 
So saß er zu Krakau auf dem Lehrersitz,
	        
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