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erkünsteln läßt. Vorzüglich in diesen kindlichen Gleichnissen und sinnbildlichen
Volksgeschichten und Parabeln ist das Evangelium Urbild für alle späteren Legenden
geworden, sowie diese wiederum die Quelle und Vorrathskammern aller christlichen
Kunst gewesen sind, zunächst der bildenden, dann aber auch der Poesie. Indessen
dürfen wir über dieser kindlichen Einfalt im Vortrage des neuen Testaments doch
nie die innere Erhabenheit des göttlichen Verstandes, der darin niedergelegt ist,
verkennen oder übersehen. Wie aus der zornigen Löwengeberde, mit der uns die
Flammenschriften des alten Bundes mehrentheils entgegentreten, im tiefsten Kerne
des innern Sinns und Herzens doch die fromme Lammesgestalt der duldenden
Liebe emporsteigt, so erhebt sich in den Schriften des neuen Bundes aus dem
demuthsvollen Lammsgewande der kindlich einfachen Lehre auch wiederum der Adler
empor, als höheres Sinnbild der ewigen Anschauung Gottes. Und hier auf diesem
Standpunkte tritt nun eigentlich jene schon oben erwähnte dritte und höchste Aus¬
legung und Erkenntniß der heiligen Schrift ein, nach dem geheimnißvollen Ver¬
ständnisse der mit Golt vereinigten Seele, wo es das ewige Wort selbst ist, wel¬
ches sich in seinem eigenen Lichte erfaßt und vernimmt. Denn alle Lehre und
Erkenntniß vom lebendigen Worte kann ja nach der dreifachen Geburt des Wortes,
der geschichtlichen, ewigen und der innerlichen in der Seele, auch in der gleichen
dreifachen Beziehung erfaßt, verstanden und ausgelegt werden. In jener höchsten
Erkenntnißweise aber wird das Wort nun nicht mehr nach einem blos mensch¬
lichen Verstände getheilt und zerstückt erfaßt, sondern wieder ganz und lebendig
geworden, wirkt es in den Wissenden als Wort des Lebens und bringt auch
Früchte des Lebens hervor. Da verschwindet sodann jener mehrfache Sinn der
Schrift, wie er auf den ersten Stufen der annähernden Erkenntniß gesondert
erhalten werden muß, und geht, nachdem das Ziel gefunden ist, für das Wesent¬
liche wieder über in den einfachen Sinn der mit Gott vereinigten Seele, nach dem
eignen vollen Lichte des lebendigen Wortes, welches in der Schrift selbst als das
ungeschriebene ewige Evangelium bezeichnet wird, durch welches auch das, was
noch früher verschlossen blieb, wenn die Zeit gekommen ist, entsiegelt werden soll.
I. v. Schlegel.
7. Bvu der Muttersprache.
In einer Sprache wird man nur groß. Homer und das ganze muster-
giltige Alterthum, Ariosto, Tasso, Cervantes und Shakespeare verplapperten
gewißlich nicht ihre Muttersprache in fremden Wörtern. Sprechen ohne Sprache;
Sprachen können und doch keine einzige in seiner Gewalt haben; wissen, wie
Brod in allen Sprachen heißt, es aber in keiner verdienen; Rabennachsprechen,
Staarmätzigkeit und Papageienkunst — entstellen kein Volk so sehr, als das
deutsche, und unglücklicherweise finden wir diese Mißgeburten schön, wie manche
Gebirgslente ihre Kröpfe. Unsere Affenliebe für fremde Sprachen, mit Hintan¬
setzung der eigenen, hat lange schon Windbeutel, Aufblasefrösche und Landläufer
wichtig gemacht, in den fremden Sprachlehrern gefährliche Kundschafter ins Land
gezogen, durch die Immerzüngler und Näselxr unser biederherziges Volk verdorben,
unsere sinnigen Frauen verpuppt. Fremde Sprachen sind für den, der sie nur
aus Liebhaberei undPlappermäuligkeit treibt, ein heimliches Gift. Cato's
Ausjagen der griechischen Sprachmeister aus Rom ist selten richtig verstanden.
In einer fremden Sprache wird man von einer Anstößigkeit schon weniger roth,
und in manchen klingen die Lügen sogar schön. Wenn der türkische Sultan etwas
auf Türkisch verspricht, dann ist Verlaß auf sein Wort; zum Betrug und zur
Worttäuscherei entweiht er die Muttersprache nicht; dazu wählt er fremde, am