360
nicht hindern. Seine Habe geht in Flammen auf; er kann sie nicht retten. Sein
Leben überfalle der tückische Meuchelmord; er kann sich nicht schützen. Die Welt
könnte um den Schlafenten her untergehen, und er würde vielleicht nur dann erst
etwas gewahr, wenn ihn selbst das furchtbare Geschick ergriffe. Denn nicht immer
sind Freunde, die ihm Hilfe bringen, oder die seiner Hilfe bedürfen, um ihn her.
Fern und nahe schläft Alles mit ihm, wenn schweigende Nacht die Erde in Schatten
hüllt. Ähn schützt nicht der lichtscheue Sünder, der ihn vielleicht in der Finsterniß
zum Gegenstände seines Bubenstückes macht. Wer sonst noch, indem er ruht, die
nächtlichen Stunden in trüber Sorge oder in stillem Fleiße durchwacht, weiß nicht
von ihm, oder kann ihm doch nicht Helsen. Und alle Wächter der Sicherheit, was
vermögen sie allein zu unserer und vollends zur Erhaltung des Ganzen? Wo
der Herr nicht die Stadt behütet — und die Welt ist eine einzige große Stadt —
da wacht das Auge der Kreatur umsonst.
Unsere Abhängigkeit von Gott macht uns der Schlaf mithin doppelt fühlbar
und setzt sie außer allen Zweifel. Am Tage, wo die Lebendigen alle geschäftig
sind, möchte der Ungläubige dieser Ursache die Erhaltung der Dinge beimessen;
möchte der Selbstgenügsame wähnen, die Welt bestehe durch ihn. Senkt aber die
Nacht sich herab; beginnt jede arbeitende Kraft zu feiern; wiegt tiefe Ruhe das
müde Leben ein; und wir fragen ihn, wer nun, da Keiner mehr sorgt, das Ganze
erhalte; wer nun, da Alles schläft, für Alle wache; wer nun, da todähnliche Stille
überall verbreitet ist, mit lebendigem Odem durch die Schöpfung wandle und die
heilige Schaar der Sterne im sichern Gleise am Himmel auf und nieder leite: —
dann muß er anbetend verstummen, dann zerknirscht sein Nichts fühlen, und Dich,
der Du, ohne seiner zu bedürfen, alle Dinge mit Deinem kräftigen Worte trägst,
in Demuth verehren.
Nachdenkenden und Rechtschaffenen wird dieses Gefühl auch nie fremd. Gern
und dankbar bekennen sie, daß sie Alles, was sie haben und sind, von einem
Höheren empfangen, und dessen väterlicher Aufsicht, wie die Fortdauer, so das
Glück ihres Lebens zuzuschreiben haben.
Laßt uns die Nähe des Vaters, von dem wir in jedem Augenblicke unsres
Lebens abhängen, überall fühlen und, wo wir des Allmächtigen bedürfen, fest auf
ihn hoffen; laßt uns einschlafend Leib und Seele dem empfehlen, der Beides gegeben
hat: — dann werden wir, so oft uns der dämmernde Morgen oder bei Nacht
schon ein Unfall aufweckt, getrost und ruhig zu einer frohen und gewissenhaften
Uebung der Pflicht auf der Stelle geschickt sein. Dräseße.
5. Das beschämende Bild des Baumes.
Wie, ein Baum sollte den Menschen beschämen? Ja, ja! das thut er und
thut es nicht etwa blos in einem Punkte. Er thut es in vielen. Höret nur,
und erstaunet! — Was seht ihr zuerst am Baume? Nicht wahr, das gesteht
ihr ein, daß er Alles zu seiner Entwickelung benutzt. Von allen Seiten her zieht
der Baum Nahrung in sich. Die Luft benutzt er, wie das Sonnenlicht. Die
Wärme benutzt er, wie die Feuchtigkeit, den Wind, wie die Kräfte der Erde.
Alle Elemente, die es giebt, alle Stoffe, deren er nur habhaft werden kann,
müssen ihm das abgeben, was für sein Wachsthum und Gedeihen ersprießlich ist.
Alles rund herum verarbeitet er zu feinem Vortheile. Alles Nützliche weiß er
nicht nur zu brauchen, sondern braucht es auch mit allen seinen Theilen. Wur¬
zeln und Zweige, Blüthen und Blätter, Stamm und Rinde, kurz Alles an ihm
muß arbeiten helfen. Alles an ihm sind einsäugende Theile, die von den Ele-