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Es ist nicht umb inein stolze,: leib
noch umb mein junges leben,
es ist umb mein frauw mutter daheim,
die weinet also sere."
Es stund kaum an den dritten tag,
ein engel kam vom himel:
man solt den knaben nemen ab,
sonst würd die stat versinken.
Es stund kaum an ein halbes jar,
der tod der ward gerochen:
es wurden mer dann drei hundert man
umbs knaben willen erstochen.
Wer ist der uns diß liedlein sang?
so frei ist es gesungen;
das haben getan drei jungfreuwlein
zu Wien in Oesterreiche.
Vom Siebenjährigen bis }\m Weltkriege.
Nationale Dichtung.
I. Neue Strömungen.
1. Johann Christoph Gottsched (1700—1766).
Jus dem „Versuch einer Critischen Dichtkunst"^ Leipzig 1742. (Bruchstücke.)
Grster allgemeiner Heit.
Kap. II. Von dem Charaktere eines Poeten.
. . Zu einem guten Poeten gehört auch ein guter Geschmack. . . Ein
Poet sei ein geschickter Nachahmer aller natürlichen Tinge. . . Der Dichter
ganz allein hat dieses §u seiner Haupteigenschaft, daß er der Natur nach¬
ahmet und sie in allen seinen Beschreibungen, Fabeln und Gedanken sein
einziges Muster sein läßt . ., und ein Poet muß dergestalt sowohl als ein
Maler, Bildschnitzer usw. eine starke Einbildungskraft, viel Scharfsinnigkeit und
einen großen Witz schon von Natur besitzen, wenn er den Namen eines
Dichters mit Recht führen will. . . Doch alle diese natürliche Gaben sind
an und für sich selbst noch roh und unvollkonnnen, wenn sie nicht aufgeweckt
und von der ihnen anklebenden Unrichtigkeit gesäubert werden. . . Denn das
muß man notwendig wissen, daß es mit Einbildungskraft, Scharfsinnigkeil
und Witz bei einem Poeten noch nicht ausgerichtet ist. Dies ist zwar der
Grund von seiner Geschicklichkeit, den die Natur legt; aber es gehört zu dem
Naturelle auch die Kunst und Gelehrsamkeit. . . Bor allen Dingen aber ist
einen, wahren Dichter eine gründliche Erkenntnis des Menschen nötig, ja
ganz unentbehrlich. Ein Poet ahinet hauptsächlich die Handlungen der Menschen
nach, die von ihrem freien Willen herrühren und vielmals aus den verschiedenen
Neigungen des Gemüts und heftigen Affekten ihren Ursprung haben. Daher
muß derselbe ja die Natur und Beschaffenheit des Willens, der sinnlichen
Begierde und des sinnlichen Abscheues in allen ihren mannigfaltigen Gestalten
gründlich einsehen lernen... Sind ferner die Handlungen der Menschen gut oder-
böse, so wird er nicht imstande sein, dieselben recht zu beurteilen, wenn er