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55 „Oder wie könnte mein Schwert wohl niederwerfen die Feinde, 
wenn es blutig mordet das Leben der treuen Geliebten? 
Fern sei, was du begehrst; verbanne die Furcht aus dem Herzen! 
Der mich so oft hat gnädig geführt durch viele Gefahren, 
der ist mächtig genug, auch diese Verfolger zu schrecken/' 
so Sprach's, und spähend erhob er das Aug' und redete weiter: 
„Wahrlich, das sind nicht Hunnen, nein, Franken, Niblungen sind es, 
Landesbewohner dahier!" Und Hagen am Helme erkennend, 
ruft er lachend hinab: „Das ist mein alter Geselle 
Hagen, mein Schicksalgenoß!" und tritt zum Eingang der Höhle: 
65 „Hier an der Pforte denn künd' ich den Herrn ein warnendes Wörtlein: 
Niemals soll heimkehrend ein Franke der Gattin sich rühmen, 
daß ein Tüttelchen nur von unserm Gut er geraubet!" 
Aber kaum vollendend das Wort, fleht reuig Vergebung 
er, auf die Erde gestreckt, daß er also vermessen gesprochen. 
7o Dann aufstehend mustert er prüfend die Reihe der Feinde: 
„Keinen fürcht' ich von allen, die dort mein Auge erschauet, 
außer Hagen; denn er allein kennt meine Gewohnheit 
und weiß selber genug zu üben verschlagene Kampflist. 
Aber wenn Gott mir hilft, daß diesem ich siegend begegne, 
75 Hiltgund, Geliebte, dann bleib' in dem Kampf ich sicher bewahrt dir." 
Da nun also dräuend am Felstor Hagen gewahret 
Walthern, spricht er noch einmal das warnende Wort zum Gebieter: 
„Laß doch ab, mein König, den Recken dort also zu reizen, 
oder entsende zuvor doch einen der tapferen Mannen, 
80 der ihn befrag' um Geschlecht, um Vaterland, Namen und Herkunft; 
Frieden fleht er vielleicht und bietet willig den Schatz dir 
ohne den blutigen Kampf; und wenn er selbst auch beharret, 
zollt er verständig wohl deiner Ehr' eine billige Rücksicht." 
Die Verhandlungen, die Günthers Abgesandter in hochfahrendem Tone führt, enden 
ungünstig; dem König genügt trotz Hägens erneuter Warnung die Ehrengabe nicht, die ihm 
Walther bietet. Als er den Tronjer der Feigheit zeiht, weigert sich dieser, gegen seinen 
Jugend- und Blutsfreund zu kämpfen, und sieht dem nun beginnenden Streite untätig 
zu. Wegen des engen Zuganges zur Schlucht müssen Günthers Mannen einzeln vorgehen. 
Keiner ist in dem jedesmal anders verlaufenden Kampfe dem Helden gewachsen: alle elf 
Recken, darunter ein Neffe Hägens, büßen das Wagnis mit dem Tode. Günther eilt nun 
zu Hagen und fleht ihn an, die Schmach zu rächen. Nach langem Zögern weicht er dem 
Gebote der Mannentreue. Aber nicht vor der Schlucht, sondern im offenen Felde will er 
kämpfen. Er legt sich mit dem Könige während der Nacht in einen Hinterhalt. 
Am Morgen überfallen sie den weiterreitenden Helden. In ungleichem Kampf büßt 
Walther eine Hand, Günther ein Bein, Hagen ein Auge und sechs Backenzähne ein. Hiltgund 
verbindet die Wunden und kredenzt den Versöhnungstrunk. Dann ziehen die Flüchtlinge 
und die Franken heim.
	        
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