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Für ein Ding, sage ich, hat Homer gemeiniglich nur einen Zug. Ein 
Schiff ist ihm bald das schwarze Schiff, bald das hohle Schiff, bald das 
schnelle Schiff, höchstens das wohlbernderte schwarze Schiff. Weiter läßt er 
sich in die Malerei des Schiffes nicht ein. Aber wohl das Schiffen, das Ab- 
5 fahren, das Anlanden des Schiffes macht er zu einem ausführlichen Gemälde, 
zu einem Gemälde, ans welchem der Maler fünf, sechs besondere Gemälde 
machen müßte, wenn er es ganz auf seine Leinwand bringen wollte. 
Zwingen den Homer ja besondere Umstände, unsern Blick ans einen 
einzelnen körperlichen Gegenstand länger zu heften: so wird dem ohngeachtet 
10 kein Gemälde daraus, dem der Maler mit dem Pinsel folgen könnte; sondern 
er weiß durch unzählige Kunstgriffe diesen einzeln Gegenstand in eine Folge 
von Augenblicken zu setzen, in derem jedem er anders erscheinet und in deren 
letztem ihn der Maler erwarten muß, um uns entstanden zu zeigen, was 
wir bei den Dichtern entstehen sehn. Z(um) E(xempel): Will Homer uns den 
is Wagen der Juno sehen lassen, so muß ihn Hebe vor unsern Augen Stück vor 
Stück zusammensetzen. Wir sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel 
und Riemen und Stränge, nicht sowohl, wie es beisammen ist, als wie es unter 
den Händen der Hebe zusammen kömmt. Auf die Räder allein verwendet der 
Dichter mehr als einen Zug und weiset uns die ehernen acht Speichen, die 
20 goldenen Felgen, die Schienen von Erz, die silberne Rabe, alles insbesondere. 
Man sollte sagen: da der Räder mehr als eines war, so mußte in der Be¬ 
schreibung ebensoviel Zeit mehr auf sie gehen, als ihre besondere Anlegung 
deren in der Natur selbst mehr erforderte. 
Hebe fügt' um den Wagen ihr schnell die gerundeten Räder 
mit acht ehernen Speichen umher an die eiserne Achse. 
Gold ist ihnen der Kranz, unaltendes; aber darauf sind 
eherne Schienen gelegt, anpassende, Wunder dem Anblick. 
5 Silbern glänzen die Naben in schön umlaufender Rundung. 
Dann in goldenen Riemen und silbernen schwebet der Sessel, 
ausgespannt und umringt mit zween umlaufenden Rändern. 
Vornhin streckt aus Silber die Deichsel sich; aber am Ende 
band sie das goldne Joch, das prangende, dem sie die Seile, 
io golden und schön, umschlang. In das Joch nun fügete Hebe 
ihr schnellfüßig Gespann und brannte nach Streit und Getümmel. 
Jl. V, 722-731 (Voß). 
Will uns Horner zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewesen, so muß sich 
25 der König vor unsern Augen seine völlige Kleidung Stück vor Stück umtun: 
das weiche Unterkleid, den großen Mantel, die schönen Halbstiefeln, den Degen; 
lmd so ist er fertig und ergreift das Zepter. Wir sehen die Kleider, indem 
der Dichter die Handlung des Bekleidens malet; ein anderer würde die Kleider 
bis auf die geringste Franse gemalet haben, und von der Handlung hätten 
30 wir nichts zu sehen bekommerr. 
— — — zog das weiche Gewand an, 
sauber und neugewirkt, und warf den Mantel darüber; 
unter die glänzenden Füß' auch band er sich stattliche Sohlen, 
hängte sodann um die Schulter das Schwert voll silberner Buckeln, 
nahm auch den Königesstab, den ererbeten, ewiger Dauer. Jl. II, 42—46.
	        
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