Full text: Auswahl deutscher Dichtungen von dem Nibelungenliede bis zur Gegenwart (Abtheilung 1)

152 — 
Und wenn es einst aus Schwachheit fället, Es schätzet seiner Mutter Brüste 
Es sich nicht ungebärdig stellet; Mehr als die Welt und alle Lüste: 
Man hebt es auf, man macht es rein, Da findt es was ihm nöthig ist; 
Es geht hernach nicht mehr allein. Da schläft es ein und all's vergißt. 
Ein Kindchen kann nicht überlegen; 
Es läßt sich heben, tragen, legen; 
Denkt nicht an Schaden noch Gefahr; 
Es bleibt nur überlassen gar. 
O süße Unschuld! Kinderwesen! 
Die Weisheit hab ich mir erlesen: 
Wer dich besitzt, ist hochgelehrt 
Und in des Höchsten Augen werth. 
Ein Kindchen weiß von keinen Sachen, O Kindheit, die Gott selber liebet, 
Was andre thun, was andre machen; Die JEsu Geist alleine giebet; 
Was ihm vor Augen wird gethan, Wie sehnet sich mein Herz nach dir; 
Schaut es in stiller Unschuld an. O JEsu, bilde dich in mir. 
Sein liebstes Werk und höchst Vergnügen, O JEsu, laß mich, noch auf Erden, 
Ist, in der Mutter Armen liegen, Ein solch unschuldig Kindlein werden; 
Sie anzusehen spät und früh, Ich weiß gewiß, so kommt schon hier 
Und sanfte zu umarmen sie. Gott und sein Paradies in mir. 
Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. 
(1700 1760.) 
Henochs Teben. 
Vor Seinen Augen schweben 
Ist wahre Seligkeit; 
Ein unverrüktes Leben 
In Eingesunkenheit: 
Nichts können und nichts wissen, 
Nichts wollen und nichts thun, 
Als JEsu folgen müssen; 
Das heißt im Frieden ruhn. 
Man steht von seinem Schlafe 
In Christi Freundschaft auf; 
Man fürchtet keine Strafe 
Im ganzen Lebens-Lauf; 
Man ißt und trinkt in Liebe, 
Man hungerte wol auch; 
Man hält im Gnaden-Triebe 
Beständig einen Brauch. 
Wenn man den Tag vollendet, 
—A 
Von Christo unverwendet 
Thut man die Sinnen zu; 
Und weiß auch denen Träumen, 
Wenns ja getränmt soll seyn, 
Nichts anders einzuränmen, 
Als Christi Wiederschein. 
Man geht in einer Fassung 
Dahin bey Tag und Nacht, 
Und ist auf die Verlassung 
Der ganzen Welt bedacht: 
Man hört und sieht und fühlet, 
Hört, sieht und fühlt doch nicht; 
Und wenn uns Schmerz durchwühlet, 
Weiß man nicht, was geschicht. 
Gewiß, wer erst die Sünde 
In Christi Blut ertränkt 
Und hurtig und geschwinde 
Auf JEsum zugelenkt; 
Der kan sehr heilig handeln, 
Und kan bald anders nicht. 
Herr Jesu, lehr uns wandeln 
In Deiner Augen Licht!
	        
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