Full text: Auswahl deutscher Dichtungen von dem Nibelungenliede bis zur Gegenwart (Abtheilung 1)

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Die Jehovah mir gab, so sollte von diesem erhobnen 
Treffenden Arm euch ferne von mir mein Donner verschleudern. 
Aber ich komm' in dem Namen des Sohns von Adarm, der, schaut ihn! 
Trägt sein Kreuz! In dem Namen des Überwinders der Hölle: 
Flieht! Sie flohen dunkler als Nächte. Ereilende Schrecken 
Hefteten sich an die Ferse der Flucht und trieben sie seitwärts 
Auf die Trümmern Gomorra im todten Meere. Die Engel 
Sahen sie fliehn, es sahen sie fliehn die Väter. Eloa 
Stieg zu der Zinne des Tempels, in seiner Herrlichkeit, nieder. 
Jesus war zu dem Todeshügel gekommen. Ermattet 
Schwankt' er am Fuß des Hügels. Die blutbegierigen Haufen 
Zwangen einen Wanderer, der an Golgatha's Hange 
Furchtsam hinabstieg, daß er das Kreuz dem Ermatteten trüge. 
Unter dem Volk, so ihm folgte, beweinten ihn einige, weiche 
Wuthlose Seelen, doch die mit ganzem Herzen am Eiteln 
Hieugen und kaum den Göttlichen kannten. Ihr flüchtiges Mitleid 
War nur sinnlich; nicht edel, nicht Mitleid der Seele! Der Gottmensch 
Höret sie klagen und wendet sich um und redet mit ihnen: 
Warum weinen die Töchter Jerusalems? Weinet um misch nicht! 
20 Weinet über euch selber und über euere Kinder! 
Denn es nahn die Tage der Angst. In den furchtbaren Tagen 
Werden sie jammern: O selig die Unfruchtbaren! Die Leiber, 
Die nicht gebaren! Die Brust, die nicht säugte! Dann werden sie sagen 
Zu den Bergen: Fallet auf uns! Und den Hügeln: Bedeckt uns! 
25 Denn geschahe das mir; was wird den Sündern geschehen! 
Jetzt war Jesus gekommen zur Höh des großen Altares. 
Und er schaute zum Richter empor. Die Kreuziger nehmen 
Ihm das Kreuz ab, richten es unter Todtengebein auf. 
Und das Kreuz erhub gen Himmel sich, stand. Der geweihte 
Festliche Tag er schimmert noch sanft; noch freut sich die kleinste 
Schöpfung im Labyrinthe der lebenathmenden Lüfte. 
Doch Ein Wink, und es fängt in ihrem Schoße die Erde, 
In den geheimsten entlegensten Tiefen mit leiser Erschüttrung 
An zu beben. Üüber dem Antlitz der schauernden Erde 
Rüsten Stürme sich, wirbeln und heulen in hangenden Klüften. 
Und es schwankte das Kreuz. Der Gottmensch stand bei dem Kreuze! 
Adam sah ihn und hielt sich nicht mehr. Mit glühender Wange, 
Mit hinfliegendem Haar, mit offenen bebenden Armen, 
Eilt' er hervor zu dem äußersten Hange des Bergs, sank nieder. 
10 Als er hinsank, flammte der Himmel im schauenden Auge 
Deß, der nicht mehr ein Sterblicher war. Er weinte vor Wonne! 
Wonn' und ewiges Leben und Schauer und Wehmuth und Staunen 
Uberströmten sein Herz. Des vollen Herzens Empfindung 
Wurd' itzt Stimme; da betete Adam. Die Kreise der Engel 
45 Hörten des Betenden Stimme! Er blickt auf die Gräber und saget: 
Nein, der Seraph nennt dich nicht aus! Die Unsterblichen weinen, 
Wenn sie, in deine Liebe vertieft, die tausendmal tausend 
Herrlichkeiten zu nennen beginnen und betend verstummen! 
Paldamus, Lesebuch III. 2. a., 2. Aufl. 
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