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Wilhelm Müller.
(1794 - 1827.)
Morgenlied.
Wer schlägt so rasch an die Fenster Die Sonnenstrahlen stehlen sich
Mit schwanken, grünen Zweigen? Imir Behende durch Blätter und Ranken
Der junge Morgenwind ist hier Und necken auf deinem Lager dich ken.
Und will sich lustig zeigen. Mit blendendem Schweben und Schwan—
Heraus, heraus, du Menschensohn, Die Nachtigal ist heiser fast,
So ruft der kecke Geselle, So lang hat sie gesungen,
Es schwärmt von Frühlingswonnen schon Und weil du sie gehört nicht hast,
Vor deiner Kammerschwelle. Ist sie vom Baum gesprungen.
Hörst du die Käfer summen nicht? Da schlug ich mit dem leeren Zweig
Hörft du das Glas nicht klirren, An deine Fensterscheiben:
Wenn sie, betäubt von Duft und Licht, Heraus, heraus in des Frühlings Reich,
Hart an die Scheiben schwirren? Er wird nicht lange mehr bleiben.
Vineta.
Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde
Klingen Abendglocken dumpf und matt,
Uns zu geben wunderbare Kunde
Von der schönen alten Wunderstadt.
In der Fluten Schoß hinabgesunken
Blieben unten ihre Trümmer stehn.
Ihre Zinnen lassen goldne Funken
Widerscheinend auf dem Spiegel sehn.
Und der Schiffer, der den Zauberschimmer
Einmal sah im hellen Abendroth,
Nach derselben Stelle schifft er immer,
Ob auch ringsumher die Klippe droht.
Aus des Herzens tiefem, tiefem Grunde
Klingt es mir wie Glocken dumpf und matt:
Ach, sie geben wunderbare Kunde
Von der Liebe, die geliebt es hat.
Eine schöne Welt ist da versunken,
Ihre Trümmer blieben unten stehn,
Lassen fich als goldne Himmelsfunken
Oft im Spiegel meiner Träume sehn.
Und dann möcht' ich tauchen in die Tiefen,
Mich versenken in den Widerschein,
Und mir ist, als ob mich Engel riefen
In die alte Wunderstadt herein.