12 K. Bücher: Der Rhythmus als Entwlcklungsprinzip für Poesie rc.
sie jede mit starker Kraftaufbietung verbundene Bewegung mit einem
kurz hervorgestoßenen Sprachlaut begleiten. Diese im Augenblick
der höchsten Muskelanspannung herausgepreßten Sprachlaute müssen
physiologisch begründet sein, und da ihnen ähnliche Laute gerade in
den urwüchsigsten unserer Arbeitsgesänge das Grundelement bilden,
so liegt die Vermutung nahe, daß diese Gesänge bez. ihre Refrains
nur als Figuration jener von der Arbeit unzertrennlichen Natur¬
laute anzusehen sind.
Der erste Schritt, den der primitive Mensch bei seiner Arbeit
in der Richtung des Gesanges gethan hat, hätte also nicht darin be¬
standen, daß er sinnvolle Worte nach einem bestimmten Gesetze des
Silbenfalls aneinander reihte, um damit Gedanken und Gefühle zu
einem ihm wohlgefälligen und andern verständlichen Ausdrucke zu
bringen, sondern darin, daß er jene halbtierischen Laute variierte
und sie in einer bestimmten, dem Gang der Arbeit sich anpassenden
Abfolge aneinander reihte, um das Gefühl der Erleichterung, das
ihm an und für sich jene Laute gewähren, zu verstärken, vielleicht
es zum positiven Lustgefühle zu steigern. Er baute seine ersten
Arbeitsgesänge aus demselben Urstoff, aus dem die Sprache ihre
Worte bildete, den einfachen Naturlauten. So entstanden Gesänge,
die lediglich aus sinnlosen Lautreihen bestehen und bei deren Vor¬
trag allein die musikalische Wirkung, der Tonrhythmus, als Unter¬
stützungsmittel des Bewegungsrhythmus in Betracht kommt.
Der nächste Fortschritt hätte dann darin bestanden, daß man
einfache Sätze zwischen jene Lautreihen einschob. Aber die ungelenke
Sprache wollte sich der Einspannung in ein rhythmisches Gesetz nicht
sofort fügen, und so wurde sie vergewaltigt. Man wich von der
gewöhnlichen Art des Sprechens ab, ließ Silben ausfallen und zog
andere auseinander. Aber als Kehrreime dauern jene sinnlosen
Lautreihen noch sehr viel länger fort und schieben sich ohne Rücksicht
auf den Inhalt der Gesänge überall ein. Insbesondere spielen sie
beim Wechselgesang der Arbeitsgemeinschaften eine große Rolle, wo
nur der Vorsänger einen wirklichen Text giebt, der Chor sich aber
auf Wiederholungen und den Refrain beschränkt. Dieser ist also
das Feste, Ursprüngliche; der Text aber wird improvisiert, und so
entsteht mit jeder neuen Arbeit eine neue Variation des alten Gesangs.
Schließlich emanzipiert man sich auch noch von diesen Kehrreimen,
und der Arbeitsgesang wird ganz und gar zur dichterischen
Schöpfung. Aber auch die entwickeltsten Beispiele desselben erscheinen
noch mit wenigen Ausnahmen eng mit der Arbeit selbst verbunden.
Fast alle knüpfen stofflich an die Arbeit oder die sie begleitenden
Umstände an oder bringen Gefühle und Empsindungen der Arbeitenden
zum Ausdruck. Auch wo sie unter dem Einfluß der allgemeinen