u. v. Wilamowitz-Möllendorf: Weltperiodcn. "
Meer und läßt sich bis an die beiden Flußtäler des Niles und des
Euphrats verfolgen, die in der oder den früheren Weltperioden die
Zentra der Kultur gewesen waren.
Vor dem Anstürme der frischen Völker bricht eine vermorschte
Zivilisation zusammen, an der auch jene Vorfahren der Hellenen teil
hatten, deren Burgen und Gräber nun wieder zu uns reden. Da¬
durch kennen wir die materiell reicheren älteren Zustände besser als
die homerischen Dichter, die aus immer mehr verblassender Erinne¬
rung von den Stürmen der Völkerwanderung erzählen, gerade wie
das germanische Epos von Goten und Hunnen und dabei von Verona
und Ravenna handelt, das altfranzösische von den Wirren der
Merowingerzeit, die aus der Mischung von Franken, Römern und
romanisierten Kelten die neue Nationalität ebenso hervorgehen sah,
wie die Hellenen aus der älteren Bevölkerung, die zum guten Teile
nicht einmal arisch gewesen war, und den keineswegs durchaus ur-
griechischen Einwanderern erwachsen sind. Jahrhunderte hat es dann
gedauert, bis diese neue Nation zu dem Bewußtsein ihrer Eigenart
gelangte und sich eiue Gesellschaftsordnung und Staatsversassung,
Religion und Sitte schuf, die spezifisch hellenisch heißen durften. Es
siud diese Jahrhunderte, die auf fast allen Gebieten überraschende
Analogien zu dem Mittelalter der christlicheu Periode bieten.
Auf sie folgt die in Wahrheit unvergleichbare Blütezeit, da
sowohl die Freiheit und Ehre des nationalen Staates wie die Frei¬
heit des Menschen in seinem Fühlen und Denken, Glauben und Han¬
deln erfaßt und behauptet wird, da die Wissenschaft offenbart wird,
nicht als eine fertige Wahrheit, sondern als das unendliche Streben
zur Wahrheit. Erst die Vereinigung so vieler der höchsten Güter macht
jene Zeit unvergleichbar; aber vereinigt erscheinen sie nur dem Blicke
aus der Ferne, genaueres Zusehen zwingt zu Distinktionen. Die
ionischen Männer, die zuerst den Blick zum Himmel aufschlugen,
nicht um Geister zu bannen oder die Zukunft zu lesen, sondern um
die Gesetze der Himmelserscheinungen zu lernen, und denen so die
Ordnung und Harmonie der Natur, die Einheit des gesamten Lebens
aufging, diese Begründer der Naturwissenschaft hatten kein Vater¬
land, und schwerlich hätten sie sonst die Welt als Ganzes anzuschauen
vermocht. Die Weisheitslehrer, die die geistige Umwälzung be¬
wirkten, aus der die Wissenschaft vom Menschen hervorgegangen ist,
sprachen das kühne Wort, daß der Mensch das Maß aller Dinge
ist, da für jedes Individuum die ganze Außenwelt nur durch feine
subjektive Wahrnehmung und Empfindung Realität besitzt; sie brachen
die Ketten jedes Herkommens, jeder Konvention und forderten für
Religion, Recht und Sitte eine neue der Vernunft genügende Be¬