Full text: Prosalesebuch für Prima (Teil 7)

H. Lettner: Klopstocks literarhistorische Bedeutung. 
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III. Jur deutschen Liternturgeschichte. 
4!>. Atopl'tocko literarhistorische Medeutung. 
tllach Hermann Hettner. 
Im Jahre 1748 erschienen die ersten drei Gesänge der Messiade 
Klopftocks in den Bremer Beiträgen. Die Wirkung war eine wahr¬ 
haft überwältigende. 
Gottsched und die Gottschedianer höhnten und tobten über diese 
urplötzlich neue, von allem Hergebrachten und Regelrechten abweichende 
Erscheinung; um so lauter und freudiger begrüßte Bodmer und 
dessen Schule dieses wundersame Gedicht, auf welchem Miltons Geist 
ruhte und durch welches erreicht und erfüllt war, was Bodmer so 
lange erwünscht und erhofft hatte. Und bald wuchs die begeisterte 
Teilnahme immer weiter und weiter. In der rührendsten Weise 
zeigte sich, was Goethe sagt, daß es ein Zeitalter war, in welchem 
die Gefühlsidealität der Massen noch immer lediglich in der Religion 
lag. Die Macht der religiösen Stimmung eroberte alle Herzen. 
Zum ersten Mal seit langen Jahrhunderten war in Deutschland 
wieder ein Gedicht vorhanden, das, aus tiefinnerster Überzeugung 
entsprungen, die tiefste Begeisterung des Volkes traf. Rein und 
unschuldig waren die ersten Gesänge in eine reine und unschuldige 
Zeit gekommen. Das Gedicht erschien fast wie eine neue Offen¬ 
barung; man erquickte sich an ihr um so inniger, je sorglicher das 
Gemüt der Gläubigen nach Schutz und Trutz gegen die beängstigenden 
Fortschritte der rationalistischen Neuerung suchte. Die Messiade 
wurde ein Erbauungsbuch. Derselbe Zug, welchen Goethe im 
zweiten Buch von Wahrheit und Dichtung erzählt, daß ein Freund 
seines elterlichen Hauses die bisher erschienenen Gesänge des Messias 
alle Jahre in der Charwoche las, wiederholte sich in unzähligen 
Familien; die Briese und Lebensbeschreibungen jenes Geschlechts 
sind voll vom Lob und Preis des „außerordentlich begnadigten 
Mannes, welcher würdigere Vorstellungen von Gott lehrte". Wer 
der hochtönenden und fremdartigen Sprache nicht folgen konnte, 
fand seine Erhebung in dem feierlichen Gesamteindruck, in dem 
Dämmerungston der dunklen Empfindung, welcher erhabene 
Ahnungen weckte. Man betrachtete, wie der Sänger in seiner Ode 
„Die Stunden der Weihe" erflehte, fortan Gott und den Mittler- 
ernster, man lebte heiliger. Man stand nicht an, denjenigen für den 
besten Menschen zu halten, auf welchen die Messiade den tiefsten Ein¬ 
druck machte.
	        
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