Full text: [Abt. 8 = Für Prima] (Abt. 8 = Für Prima)

©liefen: Ein Wort zur Ehrenrettung der Moral. 
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zu verbinden und dem Handeln greifbare Ziele zu stecken. Den Kern der 
Moral bildet dabei die Unterordnung der eigenen Interessen unter die Ge¬ 
sellschaft, das Wirken für andere, der „Altruismus" im Gegensatz zum 
Egoismus. Eine solche Überzeugung treibt nicht nur entsprechende philo¬ 
sophische Systeme hervor, sie geht in mächtigen Wogen durch unser ganzes 
Leben; nicht nur draußen begegnet uns das Wort „sozial" allerorten, 
auch die Innerlichkeit soll diese Idee erfüllen. 
In solcher Richtung ist und wird viel Großes geleistet; unverkennbar 
liegt hier die Stärke der Zeit. Aber dieser Stärke will es bei aller An¬ 
spannung nicht gelingen, den ganzen Menschen zu erobern und sein innerstes 
Verlangen zu befriedigen. Vielmehr entwickelt sich im Grunde des Lebens 
ein schroffer Zwiespalt, die Entzweiung von Subjekt und Objekt, von Stim¬ 
mung und Arbeit, wie sie den modernen Menschen zerreißt und bedrängt. 
Die Arbeit hat sich — technisch und praktisch — mehr und mehr der 
Weltumgebung zugewandt und in dem Grade, wie sie mit den Dingen 
draußen verwuchs, von der Innerlichkeit abgelöst, ja, ihr entfremdet; in aller 
Anspannung der einzelnen Kräfte und aller Steigerung der technischen 
Leistungen greift sie immer weniger zurück auf das Ganze des Menschen, 
fordert sie immer weniger seine Gesinnung und Überzeugung. Nun aber 
muß nach der eigenen Lehre der Zeit verwelken und verkümmern, was nicht 
in unablässiger Tätigkeit erhalten wird; so scheint der Innerlichkeit unent¬ 
rinnbar das Schicksal bestimmt, mehr und mehr ein leerer und toter Hinter¬ 
grund zu werden, während der wirkliche Mensch sich zusehends in eine 
Maschine, freilich eine höchst komplizierte Maschine, verwandelt. 
Ein Rückschlag dagegen ist unvermeidlich. Das menschliche Subjekt 
kanu jene Herabsetzung nicht ruhig hinnehmen; es wird alles, was ihm noch 
an Vermögen zusteht, aufbieten, jener Umstrickung und Vernichtung zu 
entgehen. In solchem Streben flüchtet es sich aus allem Getriebe der 
Arbeit zu sich selbst, d. h. in seine scheinbar freischwebende und in sich 
selbst ruhende Stimmung; hier fühlt es sich ganz im eigenen Kreise und 
aller Einwirkung von außen überlegen, ja, hier dünkt es sich souverän genug, 
neue Werte zu prägen und nach ihnen alles Tun zu bemessen. Wenn zu¬ 
gleich das Individuum vor die Gesellschaft, der innere Zustand vor alle 
sichtbare Leistung, der Genuß des unmittelbaren Augenblicks vor alle be¬ 
harrenden Normen tritt und eine aristokratische, oft vielleicht nur junker¬ 
hafte Romantik alle Arbeit für die Gesellschaft als prosaisch und seelenlos 
erklärt, so kann es auch der in den gesellschaftlichen Zusammenhängen be¬ 
gründeten Moral hier nicht besonders ergehen. Ein Handeln für andere, 
mit denen uns kein inneres Band verknüpft, eine Unterordnung unter eine 
Gesellschaft, der wir nur durch die physische Notwendigkeit angehören, 
Deutsches Lesebuch, Prima. 5
	        
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