Contents: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

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100. Die Blumenfee. 
Theodora Hoch. 
Des Winters Herrschaft war zu Ende, der junge Frühling zog 
siegreich über die Fluren, und seine milden Sonnenblicke erweckten 
Wald und Feld zu neuem Leben. Es keimte und sproßte, und ein 
rosiger Blütenschnee senkte sich auf Baum und Strauch. 
Die gefiederten Sänger kehrten von ihrem Winteraufenthalt 
wieder zurück, aus den Lüften erklang Lerchenton, und in Feld und 
Hain verkündete die Nachtigall den Blumen die Ankunft ihrer Königin, 
der Blumenfee. Einen neuen Hofstaat wollte sie sich aus ihren Lieblingen 
erwählen, und alle Blumen wurden geladen, auf der Waldwiese zu er¬ 
scheinen. Der Rittersporn war für das Amt des Hofmarschalls ausersehen. 
Von allen Seiten strömten die Kinder des Frühlings herbei, 
die einen eitel und stolz auf ihren Wohlgeruch oder auf ihre farben¬ 
prächtigen Gewänder, mit denen sie alles überstrahlten, die andern 
schüchtern und bescheiden in ihren zarten duftigen Kleidchen. 
Als eine der ersten kam die Tulpe und sagte zum Hofmarschall 
und berührte dabei bittend seine Schultern mit ihrem kostbaren 
Fächer: „Schlagen Sie mich zur Hofdame vor, edler Rittersporn! 
Ich bin die Schönste im ganzen Lande! Wer kann sich mit der 
Pracht meiner Kleidung und meines Schmuckes messen? Ich ziere 
jeden Hof! Alle seine Feste werden erst farbenprächtig durch mich." 
„Eine stolze Blume bist du," dachte der Hofmarschall Rittersporn, 
„aber eitel und ohne Duft." 
„Ich kann kaum erwarten, daß die Königin erscheint," redete 
ihn gleich darauf die Mohnblume hastig an. „Mich muß sie erwählen! 
Niemand weiß so schöne Geschichten zu erzählen als ich. Ich erfahre 
alles, was in Wald und Feld geschieht, zuallererst und mache dann 
nette Märlein daraus!" 
„Der Himmel bewahre jeden vor dieser Klatschrose," murmelte 
der Rittersporn. 
Nun erschien in wunderbarer Pracht die köstlich duftende Rose., 
Sie würdigte die Umgebung keines Blickes und stellte sich schweigend 
mit königlicher Würde in der vordersten Reihe auf. Keck aber trat 
der Jasmin an den Hofmarschall heran und verbreitete um sich 
einen betäubenden Duft. „Ich biete mich als Page an," sagte er 
zum Hofmarschall. „Ich werde mein Amt gewandt versehen; denn 
ich bin nicht blöde und behaupte meinen Platz!" Damit drehte
	        
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