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Festtagen aufgeführt. Mit der Zeit wurden diese Spiele aus der Kirche auf
den Markt und ins öffentliche Leben eingeführt, wobei denn zum Ergötzen drs
schaulustigen Volkes allerlei Possen und Mummereien hinzugefügt wurden. Nur
wenige dieser Stücke sind uns bekannt geworden, unter anderen das Inns¬
brucker Passionsspiel und das Spiel von den klugen und thörichten
Jungfrauen, welches 1322 von Predigermönchen zu Eisenach vor dem Land¬
grafen Friedrich aufgeführt wurde und ihn so mächtig ergriff, daß er vom
Schlage gerührt den Rest seines Lebens hinfällig verbrachte; einem andern
Passionsspiele entstammt auch die Marien Klage. — Neben den geistlichen
Spielen entwickelten sich, wohl nicht früher als im Laufe des 15. Jahrhunderts,
die sogenannten Fastnachtsspiele, welche von jungen Leuten aus dem Bürger¬
stande in Privathäusern aufgeführt wurden; es sind Scenen voll burlesker
Schwänke und Possen. Solche Fastnachtsspiele dichteten unter anderen die beiden
Meistersinger Hans Rosenplüt und Hans Folz; eines der besten ist das
„Spil von einem Keifer und eim Apt," dessen Verfasser aber unbekannt ist.
In derselben Weise, wie die Poesie in diesem Zeitraume sank, hob sich die Prosa
unter der Pflege des Bürgerstandes überraschend schnell. Wir heben hervor:
1. historische Prosaschriften, nämlich Stadt- und Landchroniken, darunter: die
Straßburger Chronik von Fritz'sche Closener (st 1384), die Elsassische Chronik von Jakob
Twinger von Königshofen (st 1420), die Limburger Chronik und die Schweizerchroniken
von Justinger, Schilling und Etterlin;
2. mystische Prosaschriften von Joh. Tanker (st 1361 in Straßburg; Hauptwerk:
Nachfolge des armen Lebens Christi), Heinrich der Sense (8nso) (geb. 1300 bei
Konstanz, f 1365 zu Ulm; Hauptwerk: Büchlein von der ewigen Weisheit) und Johann
Geiler von Kaisersberg (geb. 1445 zu Schaffhausen, Prediger in Straßburg, 11510;
besonders berühmt seine Predigten über Seb. Brants Narrenschiff).
I. Epische Dichtung.
Weineke de Wos.
Neben der Heldensage, wenn nicht schon vor derselben, hatte sich frühzeitig
die deutsche Tiersage von Reinhard dem Fuchs und Jsengrim dem Wolf ge¬
bildet. Mit den Franken wanderte dieselbe nach den Niederlanden und wurde
hier zuerst aufgezeichnet. Die beiden ersten Bearbeitungen (l86nZrimu3 und
Reinnräus) waren in lateinischer Sprache abgefaßt. Die erste deutsche war
die von Heinrich dem Glichesäre nach französischem Vorbilde. Darauf folgte um
1250 eine Bearbeitung in niederländischer Sprache unter dem Titel Reinaert
durch einen gewissen Willem; auch dieser Dichtung lag ein französisches Werk
zu Grunde. Im 14. Jahrhundert wurde Willems Werk von einem unbekannten
Dichter fortgesetzt und im 15. Jahrhundert abermals durch Hinrik von Alkmar,
den Erzieher eines lothringischen Prinzen, völlig umgearbeitet. Diese Um¬
arbeitung wurde dann unter dem Titel Reineke de Vos durch Hermann Bark¬
husen ins Niederdeutsche übertragen und gedruckt zu Lübeck im Jahre 1498.
König Nobel hat einen Hoftag ausrufen und einen allgemeinen Landfrieden gebieten
lassen. Alle Tiere erscheinen, nur nicht Reineke der Fuchs (siehe unten: 1). Da werden
denn vielerlei Klagen gegen ihn vorgebracht, besonders von Isegrim dem Wolfe, und
nur Grimbart der Dachs verteidigt seinen Oheim. Als aber gleich darauf Henning der
Hahn mit neuen Klagen kommt, denn Reineke hat Hennings neunzehn Kinder erwürgt,
so entsendet der König den Bären Brun nach Reinekes Burg Malepartus, um den
Bösewicht zu holen. Reineke nimmt den Abgesandten freundlich auf, lockt ihn aber dann