Full text: Deutsche Dichtung im Mittelalter (Abt. 1)

152 
Festtagen aufgeführt. Mit der Zeit wurden diese Spiele aus der Kirche auf 
den Markt und ins öffentliche Leben eingeführt, wobei denn zum Ergötzen drs 
schaulustigen Volkes allerlei Possen und Mummereien hinzugefügt wurden. Nur 
wenige dieser Stücke sind uns bekannt geworden, unter anderen das Inns¬ 
brucker Passionsspiel und das Spiel von den klugen und thörichten 
Jungfrauen, welches 1322 von Predigermönchen zu Eisenach vor dem Land¬ 
grafen Friedrich aufgeführt wurde und ihn so mächtig ergriff, daß er vom 
Schlage gerührt den Rest seines Lebens hinfällig verbrachte; einem andern 
Passionsspiele entstammt auch die Marien Klage. — Neben den geistlichen 
Spielen entwickelten sich, wohl nicht früher als im Laufe des 15. Jahrhunderts, 
die sogenannten Fastnachtsspiele, welche von jungen Leuten aus dem Bürger¬ 
stande in Privathäusern aufgeführt wurden; es sind Scenen voll burlesker 
Schwänke und Possen. Solche Fastnachtsspiele dichteten unter anderen die beiden 
Meistersinger Hans Rosenplüt und Hans Folz; eines der besten ist das 
„Spil von einem Keifer und eim Apt," dessen Verfasser aber unbekannt ist. 
In derselben Weise, wie die Poesie in diesem Zeitraume sank, hob sich die Prosa 
unter der Pflege des Bürgerstandes überraschend schnell. Wir heben hervor: 
1. historische Prosaschriften, nämlich Stadt- und Landchroniken, darunter: die 
Straßburger Chronik von Fritz'sche Closener (st 1384), die Elsassische Chronik von Jakob 
Twinger von Königshofen (st 1420), die Limburger Chronik und die Schweizerchroniken 
von Justinger, Schilling und Etterlin; 
2. mystische Prosaschriften von Joh. Tanker (st 1361 in Straßburg; Hauptwerk: 
Nachfolge des armen Lebens Christi), Heinrich der Sense (8nso) (geb. 1300 bei 
Konstanz, f 1365 zu Ulm; Hauptwerk: Büchlein von der ewigen Weisheit) und Johann 
Geiler von Kaisersberg (geb. 1445 zu Schaffhausen, Prediger in Straßburg, 11510; 
besonders berühmt seine Predigten über Seb. Brants Narrenschiff). 
I. Epische Dichtung. 
Weineke de Wos. 
Neben der Heldensage, wenn nicht schon vor derselben, hatte sich frühzeitig 
die deutsche Tiersage von Reinhard dem Fuchs und Jsengrim dem Wolf ge¬ 
bildet. Mit den Franken wanderte dieselbe nach den Niederlanden und wurde 
hier zuerst aufgezeichnet. Die beiden ersten Bearbeitungen (l86nZrimu3 und 
Reinnräus) waren in lateinischer Sprache abgefaßt. Die erste deutsche war 
die von Heinrich dem Glichesäre nach französischem Vorbilde. Darauf folgte um 
1250 eine Bearbeitung in niederländischer Sprache unter dem Titel Reinaert 
durch einen gewissen Willem; auch dieser Dichtung lag ein französisches Werk 
zu Grunde. Im 14. Jahrhundert wurde Willems Werk von einem unbekannten 
Dichter fortgesetzt und im 15. Jahrhundert abermals durch Hinrik von Alkmar, 
den Erzieher eines lothringischen Prinzen, völlig umgearbeitet. Diese Um¬ 
arbeitung wurde dann unter dem Titel Reineke de Vos durch Hermann Bark¬ 
husen ins Niederdeutsche übertragen und gedruckt zu Lübeck im Jahre 1498. 
König Nobel hat einen Hoftag ausrufen und einen allgemeinen Landfrieden gebieten 
lassen. Alle Tiere erscheinen, nur nicht Reineke der Fuchs (siehe unten: 1). Da werden 
denn vielerlei Klagen gegen ihn vorgebracht, besonders von Isegrim dem Wolfe, und 
nur Grimbart der Dachs verteidigt seinen Oheim. Als aber gleich darauf Henning der 
Hahn mit neuen Klagen kommt, denn Reineke hat Hennings neunzehn Kinder erwürgt, 
so entsendet der König den Bären Brun nach Reinekes Burg Malepartus, um den 
Bösewicht zu holen. Reineke nimmt den Abgesandten freundlich auf, lockt ihn aber dann
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.