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Bitte zu nahen, nicht zu erschrecken, nicht zu erbleichen, wenn sie nun 
erfahre, wozu sie ausersehen sei. Und dann entschwebt der Engel wieder 
zu seinem lieben Herrn und streut in der lichten Himmclswohnnng die 
frohe Botschaft aus. Wir hören, wie Johannes in der Wälder Einsam¬ 
keit erblüht, wie eine Burg im Lande thront, die von Adelvolk bewohnt 
ist, der Gottesdegen Heimatort, und wie von dort Joseph mit Maria 
auszieht, und wie innig selig sie hernach das Kindchen, das neugeborene, 
herzt, es immer wieder anschaut, cs- umhalst und bei ihm wacht, und wie 
„mit fester Glaubenslust sie alles trägt in ihrer Brust", was die Hirten 
bei dem Kastell verkünden. Und das Kind wächst heran, die Lilie im 
Dornenfeld, „die hohe Blume ans niederem Kraut, so hehr und doch so 
hold und traut". 
Wenn die Weisen aus dem Morgenlande ihre „Burg" verlassen 
und Weihrauch, Gold und Myrrhen mit sich führen, so deutet dies 
Otfried im Geiste seiner Zeit für Christi Priestertum, Königtum und 
Tod, und als sie heimkehren, mahnt auch er, daß jeder von uns über¬ 
lege, wie er sich schnell der Welt entwinde und das süße Heimatland, 
das Paradies, sich finde; zugleich klagt er mit lyrischem Schwünge über 
die Heimatlosigkeit, die er an sich selbst tief empfunden hat. 
Bei der Hochzeit von Kana lautet die Moral: 
Den vollen Wasserkrug von Stein 
durchgeistet er mit Freudenwein, 
dein Herz ist dieses Wassers Krug, 
in das sein Wort den Geist dir trug. 
Oft verrät sich in kleinen, feinen Zügen eine anmutige Gutherzigkeit, 
die gar wohl das nachzufühlen weiß, was an seelischen Vorgängen dar¬ 
gestellt wird. Wenn Maria nach bangem, schmerzlichem Suchen den 
Knaben wiederfindet, da klagt sie, aller Mut sei ihr erloschen gewesen und 
schwere Sorge habe sie umwunden gehalten: 
Was sag ich mehr? Bist wieder mein, 
o, du! Du einzge Seele mein! 
Volle Anschaulichkeit zeigt auch die Schilderung des Sturmes auf 
dem See, wie die Wogen sich brechen, das Schiss vor dem Winde jagt 
nnd auf und ab taucht und dann der liebe Herr den wankenden Petrus 
wieder aufrichtet und ins Schiff tritt, 
— und von dem Augenblicke an 
lag still des Meeres Friedensbahn. 
Als des Judas vergiftete Seele zum Verräter wird und er von hinnen 
schreitet:
	        
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