fullscreen: Deutsches Lesebuch für die oberen Klassen höherer Schulen

114 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. (1750—1819.) 
Also rief er. Gedenke des, o Strahlende! Früher 
Oder später kommt der große Abend des Himmels, 
Da ihr alle, zahlloses Heer von mächtigen Sonnen, 
35 Werdet, wie Mücken am Sommerabend in Teiche sich stürzen, 
Mit erbleichenden Strahlen herunterfallen vom Himmel! 
Euer harren Gottes Gerichte! Gottes Erbarmung! 
Wähne nicht zu vergehen! Der große Geber des Lebens 
Wird gefallne Mücken, gefallne Sonnen in neues 
40 Leben rufen! Wie du auf schwärmende Mücken herabschaust, 
Schaut er ewig herab auf alle kreisenden Himmel! 
An das 
1. Du heiliges und weites Meer, 
Wie ist dein Anblick mir so hehr! 
Sei mir im frühen Strahl gegrüßt. 
Der zitternd deine Lippen küßt! 
2. Wohl mir, daß ich, mit dir vertraut, 
Viel tausendmal dich angeschaut! 
Es kehrte jedesmal mein Blick 
Mit innigem Gefühl zurück. 
3. Ich lausche dir mit trunknem Ohr, 
Es steigt mein Geist mit dir empor. 
Und senket sich mit dir hinab 
In der Natur geheimes Grab. 
4. Wann sich zu dir die Sonne neigt, 
Errötend in dein Lager steigt, 
Dann tönet deiner Wogen Klang 
Der müden Erde Wiegensang. 
5. Es lauschet dir der Abendstern, ' 
Und winket freundlich dir von fern; 
Dir lächelt Luna, wann ihr Licht 
Sich millionenfältig bricht. 
Meer. 
6. Oft eil' ich aus der Haine Ruh' 
Mit Wonne deinen Wogen zu, 
Und senke mich hinab in dich. 
Und kühle, labe, stärke mich. 
7. DerGeist desHerrndenDichterzeugt, 
Die Erde mütterlich ihn säugt, 
Auf deiner Wogen blauem Schoß 
Wiegt seine Phantasie sich groß. 
8. Der blinde Sänger stand am Meer, 
Die Wogen rauschten um ihn her. 
Und Riesenthaten goldner Zeit 
Umraufchten ihn im Feierkleid. 
9. Es kam zu ihm ausSchwanenschwung 
Melodisch die Begeisterung, 
Und Ilias und Odyssee 
Entstiegen mit Gesang der See. 
10. Hätt' er gesehn, wär' um ihn her 
Verschwunden Himmel, Erd' und Meer; 
Sie sangen vor des Blinden Blick 
Den Himmel, Erd' und Meer zurück. 
Die Grenze. 
(Den 29. Januar 1814.) 
1. Du Grenze? Nein, nicht Grenze, du alter Rhein, 
Du Lebensblut, dem Herzen Teutoniens 
Entströmend, beiden Ufern Segen 
Spendend und hohes Gefühl und Freude! 
2. Du deutscher Urart, mächtiger Rhein! Dein Strom 
Ist groß und hehr, nicht rauschend dem Ohre, schnell 
In stiller Eile, deine Wirbel 
Sprudeln nicht auf und sind unaufhaltsam; 
3. Sind tief wie Meer, wie Gottes Geschosse schnell 
Und kraftvoll, doch befreundet dem flachen Floß, 
Das, deinen Wogen sich vertrauend. 
Fülle des Landes den Städten zuführt. 
4. Als Gott der Herr die Feste von Fluten schied, 
Und Inseln aus der Tiefe sich heben hieß. 
Und Quellen aus dem Schoß der Berge 
Rief, und dem Ocean Grenze stellte; 
5. Gesetz dem Sturme sprach; als das junge Licht 
Die neue Schöpfung, welcher es Schöne gab. 
Anstaunte: da verweilte freundlich 
Über dem Rhein und des Rheines Ufern
	        
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