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111. Wallcustcin.
Von Goethe.
Aus dem Maskenzug zum 18. Dezember 1818 (Hempelsche Ausg. 11. T., S. 349)
Ein Mann tritt vor im Glanz der höchsten Tliaten,
Auf ihn gerichtet jeder Blick,
Dem Schwieriges, Unmögliches geraten,
Er dankt sich seihst das eigene Geschick,
Gewalt’ge Kraft, die Menschen aufzurufen,
Sie zu befeuern kühnster That,
Im Plane sicher, mit sich selbst zu Rat,
Des Kaisers Günstling, nächst an Thron und Stufen;
Die zarte Gattin gern an seiner Seite,
Der Terzky Hochsinn, Theklas Jugendlicht,
Max treugesinnt, so wie er thut und spricht:
Welch ehrenvoll, welch liebevoll Geleite!
Doch wir empfinden heimlich Angst und Grauen,
Solch äussres Glück im hellsten Licht zu schauen.
Woher denn aber dieses innre Zagen,
Das ahnungsvoll in enger Brust erbebt?
Wir wittern Wankelmut und Missbehagen
. Des Manns, der hoch und immer höher strebt.
Und was kann grässlicher dem Edeln heissen,
Als ein Entschluss, der Pflicht sich zu entreissen!
Da soll nun Stern zum Sterne deutend winken,
Ob dieses oder jenes wohlgethan;
Dem Irrtum leuchten zur verworrnen Bahn
Gestirne falsch, die noch so herrlich blinken.
Der Zug bewegt sich, schwebt vorbei.
Es war ein Bild. Das Herz ist wieder frei.
112. Über die Schauspielkunst.
Von Lessing.
Hamb. Dramat. Hempelsche Ausg. 7. Teil, S. 63.
Die grösste Feinheit eines dramatischen Richters zeigt sich darim
wenn er in jedem Falle des Vergnügens und Missvergnügens unfehlbar
zu unterscheiden weiss, was und wieviel davon auf die Rechnung des
Dichters oder des Schauspielers zu setzen sei. Den »inen um etwas
tadeln, was der andere versehen hat, heisst beide verderben. Jenem
wird der Mut benommen, und dieser wird sicher gemacht.
Besonders darf es der Schauspieler verlangen, dass man hierin die
grösste Strenge und Unparteilichkeit beobachte. Die Rechtfertigung des
Dichters kann jederzeit angetreten werden; sein Werk bleibt da und
kann uns immer wieder vor die Augen gelegt werden. Aber die Kunst
des Schauspielers ist in ihren Werken transitorisch. Sein Gutes und
Schlimmes rauscht gleich schnell vorbei; und nicht selten ist die heu-