Festrede zur Enthüllung des Berliner Lessing-Denkmals. 125 
Hier gedieh Plan auf Plan, Werk auf Werk des Rastlosen; 
noch der „Nathan" wanderte als Berliner Druck in die Lande. Hier 
rang sich der Neuschöpfer des deutschen Theaters aus dem leblosen 
Komödientrott und dem Alexandrinerstelzgang los, um mit neuen 
Stoffen und Ideen, neuen Gestalten, neuen Dialogen zugleich eine neue 
charakteristische Schauspielkunst herauszufordern. Hier kommt ihm in 
einer elenden Hanswnrstbude der alle Welt verblüffende Einfall, Volks¬ 
stück und Kunstdrama zu vermählen, und sein Doktor Faust soll über 
die Hölle triumphieren. Im stillen Potsdam vollzieht er den Bruch 
mit einer hohlen Aristokratie, die nur deklamierende Halbgötter und 
Fürsten auf der tragischen Bühne litt, und führt bürgerliche Menschen 
über die Bretter. Ein Berliner Preisausschreiben ruft die Keime seiner 
modernen Virginia hervor, genannt „Emilia Galotti". Langsam und 
nie ohne weise Schätzung, wieviel der arme Deutsche vom französischen 
Lust- und Schauspiel zu lernen habe, verabschiedet Lessing hier den 
alten Pariser Tragödienstil, den er dann im Hainburgischen Duell mit 
Voltaire vollends über die Grenze jagt, ein besonnener Herold Shakespeares. 
Einst hat hier im königlichen Schloß der unreife sächsische Pastor¬ 
sohn demselben Meister Arouet, dem größten Schriftsteller der Zeit, 
gegenübergesessen, gierig aushorchend nach salomonischer Weisheit und 
doch mitten in aller schülerhaften Bewunderung sein Stachelverslein 
summend gegen den hageren Schelm; ein Vorwurf für Adolf Menzel. 
Zum bloßen Diener und Handlanger ist dieser vom kargen Ertrag 
seiner Feder lebende Jüngling schon zu stolz, zu bewußt seines Wertes 
und Könnens. Schon reckt er die gelenken Glieder und wirft das 
Trntzwort hin: „Weiß ich nur, wer ich bin!" Schon schaut er in 
einer Zeit, die ihre unmännlichen Kostgänger nach dem knechtischen 
Sprichwort mit dem Hut in der Hand durchs ganze Land schickte, 
höhnisch auf die fremde Tafelrunde da oben und schüttet ein bittres 
Lachen aus über die lustigen Räte. „Nimmermehr werde ich mich 
fähig fühlen, eine so niedrige Rolle zu spielen, und wenn auch Ordens¬ 
bänder zu gewinnen ständen. Ein König mag immerhin über mich 
herrschen; er sei mächtiger, aber besser dünke er sich nicht." 
Welch ein neuer Ton! Lessings großartiges Selbstgefühl hat 
nicht nur dem deutschen Schriftstellerstande den Nacken gesteift, seine 
unantastbare Tapferkeit hat nicht nur die litterarischen Gilden zu 
Paaren getrieben und die Zunftwirtschaft der hohen Schulen gezüchtigt 
— er half im Zeitalter Friedrichs des Großen die ganze Nation 
wahrhafter und wehrhafter machen: seine Siege wurden ihre. Siege; 
sein Respekt schuf ihr erhöhte Achtung vor sich selbst und bei den 
Nachbarn; seine ruhelose Freizügigkeit rüttelte die Stnbenmenschen auf; 
und der Schüchternheit seiner Generation, der Empfindsamkeit des
	        
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