Wie Lachen schön macht. 
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Leben die Gesichtszüge. Ist doch das „Gesicht" selber nach dem Sehen, 
also die ganze Fläche nach den Angen benannt. Von diesem Lachen 
ist denn hier die Rede. 
Doch zur Sache zu kommen, es war gegen Abend, im Dämmerlicht 
der Straßen- und Ladenbeleuchtung, daß ich durch die belebteste Straße 
strich auf dem Trottoir. Da im halben Dunkel, halben Licht, wie ich 
so, andres denkend, das Auge einmal nach vorn schweifen ließ, leuchtete 
mir aus einer Gruppe dreier kommenden Frauengestalten ein Antlitz 
entgegen, das den Sinn (es ging wie ein Blitz) weckte und an sich 
zog mit dem Leuchten der Schönheit, jugendlicher Schönheit, so unaus¬ 
weichlich wie im Felde draußen eine im Dämmer auftauchende Laterne 
plötzlich den Sinn faßt und an sich zieht — und als die Gruppe 
näher kam, war's eine Alte, eine Sechzigjährige: aber sie lachte mit 
jenem Lachen, das eine große, frohe, gute Empfindung ans der Tiefe 
heraufholt, eine große Freude und eine selbstlose Liebe zusammen. Wie 
gern hätte man gleich aus dem Gespräch der Frauen zur Ergänzung 
erfahren, was es war, wovon sie sprachen, das diese Wirkung thun 
konnte, die sich gleich auch nach außen übertrug, denn in mir lachte 
es gleich mit, gemischt mit staunendem Aufmerken. Sie lachte oder 
lächelte noch so, als sie mir in volles Licht kam. Sie war nicht schön, 
wenn auch vielleicht einmal gewesen — aber ihr Lachen, der Seelenglanz 
ließ auf ihren Zügen jenen fesselnden Schönheitsglanz aufleuchten, 
malerisch ausgestaltet durch die Mischung von Abenddümmer und 
Lichterglanz, die die Luft füllte und das Bild zugleich einrahmte und 
ihm seine letzte Retouche gab. 
Das ist denn wohl ein brauchbarer Beitrag zu der Frage, was 
eigentlich das Schöne ist, zunächst als Beleg dafür, wie wenig es für 
sich an sinnliche Schönheit gebunden ist, so wenig, daß man diese, die 
wir sonst suchen als Vertreterin des sichtbaren Schönen, zu fordern ganz 
vergessen kann, doch nur darum, weil da eine höhere oder tiefere Schönheit 
an ihre Stelle tritt, die uns jene andre zugleich ersetzt uud an Wirkung 
überbietet. Es reizt mich aber unwillkürlich, den erlebten seltnen Fall noch 
besser auszunutzen. Also noch Folgendes Versuchs- und andeutungsweise. 
Frauenschönheit, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt, mit Jugend 
gepaart, nennt man, wenn sie uns einmal nicht in der Kunst bloß, 
sondern im Leben verwirklicht entgegentritt, in ihrer höchsten Aus¬ 
prägung auch eine blendende Schönheit. Also auch Glanz als ihr 
Wesen aufgefaßt, es muß aber dabei an die Sonne gedacht sein, vor 
deren Glanz man erschreckt die Augen schließt. Nicht so oder gerade 
entgegengesetzt jene andre Schönheit, wie ich sie da sah. Sie glänzt 
auch, aber mit einem stillen Glanz, der nicht von außen, von der Ober¬ 
fläche, sondern aus der Tiefe kommt, der darum auch wohl zu über- 
M. Henschke, Deutsche Prosa. 26
	        
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