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Charlotte Duncker.
Die Begeisterung würde, Kometen gleich, die Bahnen der Gestirne
durchbrechen, welche den Weltlauf erleuchten und regeln, und Kometen
gleich verschwinden, nachdem sie die Menge mit flüchtigem Streiflicht
berührt oder durch Blendung verwirrt hätte, wenn sie nur als In¬
spiration genialer Naturen erschiene, denen es beschieden ist, schöpferisch
und umgestaltend in das Leben und die Entwickelung der Nationen
einzugreifen. Sie ist vielmehr eine Lichtwirkung, welche, stetig aus¬
strahlend vom Urquell, auch stetig ergriffen wird von Kleinen
und Großen; nur daß sie in bedeutenden und gewaltigen Geistern
sich mächtiger konzentriert, während sie in Menschen, deren Gaben keine
hervorragenden sind, als still glimmende Herdflamme lebt.
Es ist ein Beweis für die Zartheit und Schärfe des Sprachge-
wissens, daß manche Worte keinen Mißbrauch und keine Verunglimpfung
dulden; Begeisterung gehört zu diesen. Nie wird dies Wort mit einer
herabsetzenden Hinzufügung gebraucht; nie wird von niederen, häßlichen
oder auch nur gewöhnlichen Motiven behauptet, daß sie begeisternd
wirken. Während aber Enge und Flachheit des Sinns die Begeisterung
ausschließen, ist sie jedem zugänglich, der überhaupt ein waches Herzens¬
leben führt, wenn er nur verschmäht, sich an den Trübern der ebenso
selbstgenügsamen wie ungenügsamen Alltäglichkeit zu sättigen. Möge
sie auch nicht in ununterbrochener Kraft das Gemüt beseelen, ist nur
die Grundrichtung eine lautere, so wird, je nach der besonderen persön¬
lichen Anlage, irgend ein über den persönlichen Interessen liegender
Zweck, irgend eine Seite des sittlichen Ideals, vielleicht anfangs mit
schüchterner Neigung ergriffen, nach und nach mit Begeisterung festge¬
halten werden können. Ist sich nicht jeder, dem es gelingt, in seinem
Beruf, sei derselbe die Wissenschaft, die Kunst, die Erziehung oder
irgend welche praktische Wirksamkeit in kleinem oder großem Kreise,
Tüchtiges dauernd zu leisten, eines geheimen Liebesbundes mit seiner
Arbeit, einer ihm selbst geheimnisvollen und heiligen Macht bewußt,
welche die Sache, der er dient, über ihn übt? Kann nicht die einfachste
Pflicht, besonders wenn sie als eine schwere, als eine auferlegte em¬
pfunden wird, mit begeisterter Treue geübt werden? Hat nicht der eine
an der Wahrheitsliebe, an der Liebe zum Schönen, der andere an der
Barmherzigkeit, an der Gerechtigkeit, an der Geduld einen Schutzgeist,
der ihn ermutigend anblickt und über dem Niveau der Tageswellen
hält? Wirkt nicht ans ein reines Herz ein hohes Glück, ein großes
Unglück, wenn sie eben nur die innerste Seele berühren, begeisternd?
Sind Liebe und Freundschaft nur begeistert in dem Augenblick, wo,
mit kühner Vorwegnähme der Zukunft, die Gewißheit ewiger Dauer
den Bund durch ein Gelübde schließt? Wandelt nicht oft im Lauf der
Jahre die Bestätigung unseres Glaubens an einen Menschen, an ein