Zum Gedächtnis Friedrichs des Großen.
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Dagegen werden wir in dem großen Mann der Geschichte mensch¬
liches Mühen und menschliches Gelingen, menschliche Kämpfe und
menschliche Siege erwarten, und Schatten neben dem Licht, und Schwäche
neben der Stärke, und Leidenschaft neben der ruhigen Klarheit, — aber
einen vollen und ganzen Mann.
In den Kreisen des ethischen Lebens ist jedem der Gedanke einer
Aufgabe übertragen, dem Erzieher wie dem Arzt, dem Richter wie deni
Krieger, dem Forscher wie dem Staatsmann; und alle verhalten sich
in dieser Beziehung ähnlich wie der Künstler, der einen Gedanken zur
Darstellung bringen will. Jeder Beruf wird von einer Idee getragen,
und der höhere von einer höheren. Der Staatsmann z. B. bildet den
Gedanken aus, die menschliche Eudaimonie, die menschliche Glückseligkeit
in dem durch die Thätigkeiten seiner Glieder sich selbst befriedigenden
Ganzen eines starken Staates zu verwirklichen, und er muß es verstehn,
diese eine große Idee in alle die einzelnen Ideen der vereinten Kraft
und der menschlichen Bildung, des schützenden Rechtes und der Fürsorge
für das Ganze, der freien Entwickelung und der festen Macht hinaus¬
zuführen; er muß es verstehen, sie im Leben darzustellen und ihnen
Organe zu schaffen. Sein Stoff ist ihm in den Verhältnissen des
Lebens oder der Geschichte gegeben und angewiesen ohne Wahl. Dieser
Stoff ist nicht, wie in der Kunst, Stein oder Farbe, welche sich, wie
schwer sie auch zu behandeln seien, doch zuletzt ihren eigenen einfachen
Gesetzen fügen, sondern die Menschen mit ihren Begierden und Leiden,
mit ihren Kräften und Nöten. Der Stoff läßt sich nicht, wie in der
Kunst, zur handlichen Bearbeitung ausscheiden, sondern oft hängt an
ihm eine ganze Welt mit ihrem Widerspiel. Daher ist das Werkzeug
für solchen Stofs nicht immer friedlich, wie der Meißel, sondern nicht
selten gewaltsam oder gar kriegerisch wie das Schwert. Das Werk
des Staatsmannes ist nimmer fertig, und es läßt sich nicht vollendet
hinstellen wie eine Bildsäule, welche in sich ganz ruhig beharrt, selbst
noch fernen Zeiten zur Beschauung bestimmt. Die Glieder an seinem
Werke, wie überhaupt an jeglichem Werk im handelnden Leben, sind
lebendige Kräfte, die immer versucht sind, nach dem eigenen Mittelpunkt
zu ziehen, statt nach dem Ganzen, und daher immer das Werk selbst
gefährden und immer einer Regelung bedürfen.
Die meisten Menschen rücken in eine gegebene Aufgabe oder gar
in eine vorgezeichnete Lösung ein; und es ist für sie schon eine Tugend,
diese Aufgabe und diese Lösung innerhalb der ihnen gezogenen Grenzen
mit Geist und Liebe zu beleben; und es ist eine noch größere Tugend,
die Aufgabe zu steigern und die Lösung neu zu fördern und besser zu
vollbringen.
Der große Mann der Geschichte hebt aus dem gegebenen Stoff