Zum Gedächtnis Friedrichs des Großen. 
37 
Dagegen werden wir in dem großen Mann der Geschichte mensch¬ 
liches Mühen und menschliches Gelingen, menschliche Kämpfe und 
menschliche Siege erwarten, und Schatten neben dem Licht, und Schwäche 
neben der Stärke, und Leidenschaft neben der ruhigen Klarheit, — aber 
einen vollen und ganzen Mann. 
In den Kreisen des ethischen Lebens ist jedem der Gedanke einer 
Aufgabe übertragen, dem Erzieher wie dem Arzt, dem Richter wie deni 
Krieger, dem Forscher wie dem Staatsmann; und alle verhalten sich 
in dieser Beziehung ähnlich wie der Künstler, der einen Gedanken zur 
Darstellung bringen will. Jeder Beruf wird von einer Idee getragen, 
und der höhere von einer höheren. Der Staatsmann z. B. bildet den 
Gedanken aus, die menschliche Eudaimonie, die menschliche Glückseligkeit 
in dem durch die Thätigkeiten seiner Glieder sich selbst befriedigenden 
Ganzen eines starken Staates zu verwirklichen, und er muß es verstehn, 
diese eine große Idee in alle die einzelnen Ideen der vereinten Kraft 
und der menschlichen Bildung, des schützenden Rechtes und der Fürsorge 
für das Ganze, der freien Entwickelung und der festen Macht hinaus¬ 
zuführen; er muß es verstehen, sie im Leben darzustellen und ihnen 
Organe zu schaffen. Sein Stoff ist ihm in den Verhältnissen des 
Lebens oder der Geschichte gegeben und angewiesen ohne Wahl. Dieser 
Stoff ist nicht, wie in der Kunst, Stein oder Farbe, welche sich, wie 
schwer sie auch zu behandeln seien, doch zuletzt ihren eigenen einfachen 
Gesetzen fügen, sondern die Menschen mit ihren Begierden und Leiden, 
mit ihren Kräften und Nöten. Der Stoff läßt sich nicht, wie in der 
Kunst, zur handlichen Bearbeitung ausscheiden, sondern oft hängt an 
ihm eine ganze Welt mit ihrem Widerspiel. Daher ist das Werkzeug 
für solchen Stofs nicht immer friedlich, wie der Meißel, sondern nicht 
selten gewaltsam oder gar kriegerisch wie das Schwert. Das Werk 
des Staatsmannes ist nimmer fertig, und es läßt sich nicht vollendet 
hinstellen wie eine Bildsäule, welche in sich ganz ruhig beharrt, selbst 
noch fernen Zeiten zur Beschauung bestimmt. Die Glieder an seinem 
Werke, wie überhaupt an jeglichem Werk im handelnden Leben, sind 
lebendige Kräfte, die immer versucht sind, nach dem eigenen Mittelpunkt 
zu ziehen, statt nach dem Ganzen, und daher immer das Werk selbst 
gefährden und immer einer Regelung bedürfen. 
Die meisten Menschen rücken in eine gegebene Aufgabe oder gar 
in eine vorgezeichnete Lösung ein; und es ist für sie schon eine Tugend, 
diese Aufgabe und diese Lösung innerhalb der ihnen gezogenen Grenzen 
mit Geist und Liebe zu beleben; und es ist eine noch größere Tugend, 
die Aufgabe zu steigern und die Lösung neu zu fördern und besser zu 
vollbringen. 
Der große Mann der Geschichte hebt aus dem gegebenen Stoff
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.