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Die Begründung der Romantik
3. Wiegenlied.
Da droben aus dem Turme,
da wehet der Wind,
da wieget im Sturme
der Adler sein Kind.
5 Hier unten im Turme,
da wehet kein Wind,
hier betet die Mutter
und wieget ihr Kind
und hat von der Wiege
io zur Krippe ein Band
von Glaube und Hoffnung
und Liebe gespannt.
Weit über die Meere
die Hoffnung sie spinnt.
i5 Dort sitzet Maria
und wieget ihr Kind;
die Engel, die Hirten,
drei König' und Stern
und Ochslein und Esel
20 erkennen den Herrn.
Wohl über dem Monde
und Wolken und Wind
mit Zepter nnd Krone
steht Jungfrau und Kind:
25 hier unten ward's Kindlein
am Kreuz ausgespannt,
dort oben wiegt's Himmel
und Erd' auf der Hand.
Komm mit, laß uns fliegen
3o zu Maria geschwind;
komm mit und lern' biegen
dein Knie vor dem Kind!
Komm mit! Schnür' dein Bündlein!
Schon führet die Hand
35 Maria dem Kindlein:
es segnet das Land.
4. Die Lore Lay.
Zu Bacharach am Rheine
wohnt' eine Zauberin,
die war so schön und seine
und riß viel Herzen hin.
Und machte viel zuschanden
der Männer ringsumher;
aus ihren Liebesbanden
war keine Rettung mehr.
Der Bischof ließ sie laden
vor geistliche Gewalt —
und mußte sie begnaden,
so schön war ihr' Gestalt.
Er sprach zu ihr gerühret:
„Du arme Lore Lay!
Wer hat dich denn verführet
zu böser Zauberei?"
„Herr Bischof, laßt mich sterben!
Ich bin des Lebens müd,
weil jeder muß verderben,
der meine Augen sieht!
Die Augen sind zwei Flammen,
mein Arm ein Zauberstab, —
o legt mich in die Flammen,
o brechet mir den Stab!"
„Ich kann dich nicht verdammen,
bis du mir erst bekennt,
warum in deinen Flammen
mein eigen Herz schon brennt.
Den Stab kann ich nicht brechen,
du schöue Lore Lay!
Ich müßte dann zerbrechen
mein eigen Herz entzwei!"
„Herr Bischof, mit mir Armen
treibt nicht so bösen Spott
und bittet um Erbarmen
für mich den lieben Gott!
Ich darf nicht länger leben,
ich liebe keinen mehr.
Den Tod sollt Ihr mir geben,
drum kam ich zu Euch her.
Mein Schatz hat mich betrogen,
hat sich von mir gewandt,
ist fort von mir gezogen,
fort in ein fremdes Land.