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Das junge Deutschland
Ihr Engel in den Himmelshöhn,
vernehmt mein Schluchzen und mein Flehn:
i5 beschützt, wenn ich im öden Grab,
das Weib, das ich geliebet hab';
seid Schild und Vögte euren: Ebenbilde;
beschützt, beschirmt mein armes Kind, Mathilde!
Bei allen Tränen, die ihr je
so geweint um unser Menschenweh,
dein: Wort, das nur der Priester fermt
und niemals ohne Schauder uennt,
bei eurer eignen Schönheit, Huld und Milde,
beschwör' ich euch, ihr Engel: schützt Mathilde!
e) Zriefe Heines.
Heines Briefe. Pan-Verlag, Berlin 1906 I. II.
1. An Goethe.
Weimar, den 2. Oktober 1824.
Ew. Exzellenz
bitte ich, nur das Glück zu gewähren, einige Minuten vor Ihnen zu stehen. Ich will
5 gar nicht beschwerlich fallen, will nur Ihre Hand küsset: und wieder fortgehen. Ich
heiße H. Heine, bin Rheinländer, verweile seit kurzem in Göttingen und lebte vorher
einige Jahre in Berlin, wo ich mit mehreren Ihrer alten Bekannten und Verehrer
(dem sel. Wolf, Varnhagen usw.) umging und Sie täglich mehr lieben lernte. Ich
bin auch ein Poet und war so frei, Ihnen vor drei Jahren meine „Gedichte" und vor
io anderthalb Jahren meine „Tragödien" nebst einem lyrischen Intermezzo (Ratcliff
und Almansor) zuzusenden. Außerdem bin ich auch krank, machte deshalb auch vor
drei Wochen eine Gesundheitsreise nach dem Harze, und auf den: Brocken ergriff
mich das Verlangen, zur Verehrung Goethes nach Weimar zu pilgern. Im wahren
Sinne des Wortes bin ich nun hergepilgert, nämlich zu Fuße und in verwitterten
i5 Kleidern, und erwarte die Gewährung meiner Bitte und verharre mit Begeisterung
und Ergebenheit H. Heine.
2. An Camille Seiden (die Mouche).
(Spätjahr 1855.)
Liebste, zierliche Katze!
so Ich will Sie morgen, Mittwoch, nicht sehen, und zwar weil ich eine Migräne
nahen fühle; wenn Sie aber einige Augenblicke am Freitag nachmittag bei mir zu¬
bringen können, so würde mich oas dafür entschädigen, daß ich Sie so lange nicht
sehen kann. Von Freitag ab sollen mir alle Tage recht sein, und je öfter Sie kommen,
desto glücklicher für mich.
25 Meine gute, reizende, holde Mouche, komm und sumse mir um die Nase mit
Deinen kleinen Flügeln! Ich kenne ein Lied von Mendelssohn mit dem Refrain:
„Komm bald!" Diese Melodie klingt mir fortwährend durch den Kopf: „Komm bald!"
Ich küsse die beiden lieben Pfötchen, nicht auf einmal, sonoern eines nach
dem andern.
Leb' wohl.
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Heinrich Heine.