Full text: Deutsches Lesebuch für Prima

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IV. 40. von Clausewitz: 
54 Diese höchst eigentümliche Schwierigkeit muß eine eigentümliche Geistes¬ 
anlage besiegen,, welche, mit einem zu beschränkten Ausdruck, der Ortssinn 
genannt wird. Es ist das Vermögen, sich von jeder Gegend schnell eine 
richtige geometrische Vorstellung zu machen, und als Folge davon sich in 
ihr jedesmal leicht zurechtzufinden. Offenbar ist dies ein Akt der Phan¬ 
tasie. Zwar geschieht das Auffassen dabei teils durch das körperliche Auge, 
teils durch den Verstand, der mit seinen aus Wissenschaft und Erfahrung ge¬ 
schöpften Einsichten das Fehlende ergänzt und aus den Bruchstücken des körper¬ 
lichen Blicks ein Ganzes macht; aber daß dies Ganze nun lebhaft vor die 
Seele trete, ein Bild, eine innerlich gezeichnete Karte werde, daß dies Bild 
bleibend sei, die einzelnen Züge nicht immer wieder auseinanderfallen, das 
vermag nur die Geisteskraft zu bewirken, die wir Phantasie nennen. Wenn 
ein genialer Dichter oder Maler sich verletzt fühlt, daß wir seiner Göttin 
eine solche Wirksamkeit zumuten, wenn er die Achseln zuckt, daß ein findiger 
Jägerbursche darum eine ausgezeichnete Phantasie haben solle, so wollen wir 
gern einräumen, daß nur von einer sehr beschränkten Anwendung, von einem 
wahren Sklavendienst derselben die Rede ist. Aber wie wenig dies auch sei, 
es muß doch von dieser Naturkraft entnommen werden, denn wenn sie ganz 
abgeht, dann wird es schwer werden, sich die Dinge in ihrem Formen- 
zusammenhange bis zur Anschauung deutlich vorzustellen. Daß ein gutes Ge¬ 
dächtnis dabei sehr zu Hilfe komme, räumen wir gern ein; ob aber das Ge¬ 
dächtnis dann als eine eigene Seelenkraft anzunehmen ist, oder ob es eben 
in jenem Vorstellungsvermögen liegt, das Gedächtnis für diese Dinge besser 
zu fixieren, müssen wir um so mehr unausgemacht lassen, als es überhaupt 
schwer scheint, diese beiden Seelenkräfte in manchen Beziehungen getrennt 
zu denken. 
55 Daß Übung und Verstandeseinsicht dabei sehr viel thun, ist nicht zu 
leugnen. Puisegur, der berühmte Generalquartiermeister des berühmten 
Luxemburg, sagt, daß er sich anfangs in diesem Punkt wenig zugetraut, weil 
er bemerkt, daß, wenn er die Parole weit zu holen gehabt, er jedesmal den 
Weg verfehlt habe. 
56 Es ist natürlich, daß auch die Anwendungen dieses Talents sich nach 
oben hin erweitern. Müssen der Husar und Jäger bei Führung einer Pa¬ 
trouille in Weg und Steg sich leicht finden, und bedarf es dafür immer nur 
weniger Kennzeichen, einer beschränkten Auffassungs- und Vorstellungsgabe, so 
muß der Feldherr sich bis zu den allgemeinen geographischen Gegenständen 
einer Provinz und eines Landes erheben, den Zug der Straßen, Ströme und 
Gebirge immer lebhaft vor Augen haben, ohne darum den beschränkten Orts¬ 
sinn entbehren zu können. Zwar sind ihm für die allgemeinen Gegenstände
	        
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