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wie gänzlich wirkungslos die schönsten, aus allgemeine Theorie gebauten Reden
an ihm abprallten. Derartiges machte so wenig Eindruck aus ihn, als wenn
die Betressenden chinesisch gesprochen hätten, während ein einziges praktisches
Beispiel, zumal ein solches aus der Sphäre seiner Lebenserfahrung, ihn sofort
überzeugte. Die praktische Erfahrung war ihm alles; in der Theorie sah er
nie summierte Erfahrung, sondern wertlose Abstraktion, irrende Spekulation.
Er hielt eben deshalb nie an irgendeiner Theorie und Meinung starr fest;
das praktische Leben und seine Beobachtung änderte und modelte seine Über¬
zeugungen bis ins Alter immer wieder um. Es gab wohl keinen zweiten
Mann in Europa, der über einen solchen Reichtum von Beobachtungen und Er¬
fahrungen verfügte; denn wer kannte wie er, fast alle Länder Europas, ihre
Regenten und Minister, ihre leitenden Kreise; wer hatte so offenen Auges
(trotz seiner Kurzsichtigkeit und des früh gebrauchten Lorgnons) alle denk¬
baren Zustände, Sitten, Institutionen, alle Spielarten des Volkscharakters,
des Klassengeistes so beobachtet? — Das ermöglichte ihm nun eben, stets rasch
jede neue Erfahrung in den Schatz des Vorhandenen einzufügen, Menschen
und Verhältnisse richtig zu beurteilen und entsprechend zu handeln. Ein
starkes Selbstbewußtsein und eine stets schlagfertige, oft mehr durch genialen
Instinkt als Überlegung geleitete Entschlußsertigkeit machten ihn dann zu
dem handelnden Staatsmann, der in zwei Minuten erledigte, worüber seine
Ministerkollegen tagelang gesessen, ohne zu einem Entschluß zu kommen. Daß
ihn das niederdrückende Gepäck aller wissenschaftlichen Gründe pro et eoritrn
gar oftmals nicht beschwerte, ließ ihn da und dort wohl mal irren, aber er¬
leichterte ihm anderseits alles Handeln unendlich. Und vor allem das praktische
Maßhalten, das dem bloßen Mann der Feder und der Schreibstube so oft ab¬
geht, das gelang ihm spielend, weil er so ganz in der Welt der praktischen Er¬
fahrung lebte. Es will mir auch scheinen, daß, wo er als Staatsmann fehlte,
es aus dem Gebiete gewesen sei, in dem er nur unvollkommene Erfahrung be¬
saß, so z. B. in der Behandlung der katholischen Kirche und in einem Teil der
Arbeiterfrage.
Aus seinen Willens- und Gemütskrästen, wie aus der Art seines Ver¬
standes und seiner Bildung ging die energische, impetuose Art seines Handelns
hervor. Sie läßt sich als ein ununterbrochener Kampf bezeichnen, den er aber
immer wieder ans bestimmte Punkte und Personen, Institutionen und Staaten
zu beschränken wußte, der immer das Ziel verfolgte, zu Friedensschlüssen, zu
höheren, besseren Formen des politischen Lebens zu kommen, das nationale
Dasein zu befestigen und auszugestalten.
Hatte er schon als Student, als Mitglied der Stände, als Journalist
vor allem von seiner kühnen, streitbaren Seite sich gezeigt, so wurde er in
Frankfurt der Hecht im Karpfenteich, der die stillen Wasser der Eschenheimer
Gasse zum Schrecken der Hofburg triibte. Und doch galt er hier, wie auf seinem
späteren Gesandtschaftsposten, als der unwiderstehlich liebenswürdige Gesell¬
schafter und Causeur, als der Liebling der Frauen wie der Männer, der Fürsten
Lehmann, Teutsches Lesebuch sür höhere Lehranstalten, VII. Teil. 10