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Tieren, dem Vieh gegenüber verboten. Ein Kind, das seine Mutter gescholten,
wurde bei Wasser und Brot ausgesetzt, ein anderes, das die Mutter mit Steinen
geworfen, öffentlich gepeitscht und an den Armen unter den Galgen gehängt,
eines, das die Eltern geschlagen, hingerichtet. Fleischessünden wurden meist mit
dem Tode durch Ertränken, das Absingen unzüchtiger Lieder mit Verbannung
bestraft: eine Frau, die weltliche Lieder nach einer Psalmenmelodie gesungen,
wurde öffentlich ausgepeitscht, ein gebildeter Mann, der beim Lesen der
schlüpfrigen Erzählungen von Poggio ertappt worden war, eingesperrt, wer
beim Kartenspiel betroffen worden, wurde mit den Karten am Halse unter
den Pranger gestellt. Die Hochzeitsseier mußte die alte Lustigkeit ganz abtun,
keine Trommel noch Musik beim Aufzug, kein Tanz beim Gelage. Das Theater
war verboten, außer wenn biblische Stücke aufgeführt wurden, das Roman¬
lesen aber gänzlich untersagt, und wer etwas Anstößiges schrieb, wanderte ins
Gefängnis.
So war denn die konsequenteste Durchführung der reformierten Kirchen-
zucht alsbald wieder in dieselbe Einseitigkeit verfallen, die im alten Kloster-
und Büßerleben hervorgetreten war, und die Folgen dieser Unnatur blieben
denn auch hier nicht aus.
Die Welt ist nicht dazu da, daß der Mensch sich darin quäle wie ein Büßer-
oder ein Flagellant; sie soll kein Haus der Freude, aber die Freude soll auch
nicht aus ihr verbannt sein. Das hatte unser Luther mit seinem richtigen Blick
ergriffen, wenn er bei all seinem tiefen religiösen Ernst nicht verschmähte, was
das Leben erheitern und erfrischen kann, sondern es als mit zum christlichen
Leben gehörig betrachtete. Die Welt soll nicht zum Bethaus werden, und wer
sie durchaus dazu machen will, der läuft Gefahr, eine rein äußerliche Werkheilig¬
keit, d. h. den Keim zur Heuchelei zu pflanzen. Extreme dieser Art sind denn
auch vom calvinischen Wesen nie zu trennen gewesen, eine gewisse methodische
Frömmigkeit, die in dem Abtun jeder unschuldigen Lebensfreude, in finsterer
Weltbetrachtung ihren Stolz suchte, war stets damit verknüpft.
Es läßt sich aber auch nicht leugnen, daß es seine große Bedeutung hatte,
namentlich für jene Zeit.
Diese Art, Welt und Menschen zu behandeln, war weniger christlich als
spartanisch, altrömisch. Daß man auf solche Weise die ganze Menschheit biegen
und bilden könne, wird niemand sagen, aber daß man damit in einem gewissen
Kreise starke Charaktere, Männer von selbstverleugnender Hingebung und
entsagungsvollem Heldenmute erziehen kann, läßt sich auch nicht bestreiten. Und
darin lag die Bedeutung des Calvinschen Musterstaates. Nach einer Zeit lockerer
Sitte und wüster Unzucht bog er die Geister zurück zum anderen Extrem, nach
einer Zeit furchtbarer Entartung, wo jegliches erlaubt schien, kam er und
stempelte zum Verbrechen selbst, was nach allgemein menschlicher Betrachtung
schuldlos schien.
Eine Schule sollte groß gezogen werden, welche nüchtern und streng
verachtend die Genüsse, aber auch die Verführungen des Lebens, fähig wäre