Full text: [Teil 7 = (Für Prima)] (Teil 7 = (Für Prima))

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Tieren, dem Vieh gegenüber verboten. Ein Kind, das seine Mutter gescholten, 
wurde bei Wasser und Brot ausgesetzt, ein anderes, das die Mutter mit Steinen 
geworfen, öffentlich gepeitscht und an den Armen unter den Galgen gehängt, 
eines, das die Eltern geschlagen, hingerichtet. Fleischessünden wurden meist mit 
dem Tode durch Ertränken, das Absingen unzüchtiger Lieder mit Verbannung 
bestraft: eine Frau, die weltliche Lieder nach einer Psalmenmelodie gesungen, 
wurde öffentlich ausgepeitscht, ein gebildeter Mann, der beim Lesen der 
schlüpfrigen Erzählungen von Poggio ertappt worden war, eingesperrt, wer 
beim Kartenspiel betroffen worden, wurde mit den Karten am Halse unter 
den Pranger gestellt. Die Hochzeitsseier mußte die alte Lustigkeit ganz abtun, 
keine Trommel noch Musik beim Aufzug, kein Tanz beim Gelage. Das Theater 
war verboten, außer wenn biblische Stücke aufgeführt wurden, das Roman¬ 
lesen aber gänzlich untersagt, und wer etwas Anstößiges schrieb, wanderte ins 
Gefängnis. 
So war denn die konsequenteste Durchführung der reformierten Kirchen- 
zucht alsbald wieder in dieselbe Einseitigkeit verfallen, die im alten Kloster- 
und Büßerleben hervorgetreten war, und die Folgen dieser Unnatur blieben 
denn auch hier nicht aus. 
Die Welt ist nicht dazu da, daß der Mensch sich darin quäle wie ein Büßer- 
oder ein Flagellant; sie soll kein Haus der Freude, aber die Freude soll auch 
nicht aus ihr verbannt sein. Das hatte unser Luther mit seinem richtigen Blick 
ergriffen, wenn er bei all seinem tiefen religiösen Ernst nicht verschmähte, was 
das Leben erheitern und erfrischen kann, sondern es als mit zum christlichen 
Leben gehörig betrachtete. Die Welt soll nicht zum Bethaus werden, und wer 
sie durchaus dazu machen will, der läuft Gefahr, eine rein äußerliche Werkheilig¬ 
keit, d. h. den Keim zur Heuchelei zu pflanzen. Extreme dieser Art sind denn 
auch vom calvinischen Wesen nie zu trennen gewesen, eine gewisse methodische 
Frömmigkeit, die in dem Abtun jeder unschuldigen Lebensfreude, in finsterer 
Weltbetrachtung ihren Stolz suchte, war stets damit verknüpft. 
Es läßt sich aber auch nicht leugnen, daß es seine große Bedeutung hatte, 
namentlich für jene Zeit. 
Diese Art, Welt und Menschen zu behandeln, war weniger christlich als 
spartanisch, altrömisch. Daß man auf solche Weise die ganze Menschheit biegen 
und bilden könne, wird niemand sagen, aber daß man damit in einem gewissen 
Kreise starke Charaktere, Männer von selbstverleugnender Hingebung und 
entsagungsvollem Heldenmute erziehen kann, läßt sich auch nicht bestreiten. Und 
darin lag die Bedeutung des Calvinschen Musterstaates. Nach einer Zeit lockerer 
Sitte und wüster Unzucht bog er die Geister zurück zum anderen Extrem, nach 
einer Zeit furchtbarer Entartung, wo jegliches erlaubt schien, kam er und 
stempelte zum Verbrechen selbst, was nach allgemein menschlicher Betrachtung 
schuldlos schien. 
Eine Schule sollte groß gezogen werden, welche nüchtern und streng 
verachtend die Genüsse, aber auch die Verführungen des Lebens, fähig wäre
	        
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