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Prosaheft VII
Genius, daß Goethe dadurch im Inneren bewegt ward. „Zu meinem
Geburtstag, der mir diese Woche erscheint, hätte mir kein angenehmer
Geschenk werden können als Ihr Brief," antwortete er und fügt das be¬
deutende Wort hinzu, daß auch er von den Tagen ihres Zusammenseins
in Jena eine Epoche rechne. Somit war der Bund geschlossen, der
schönste und reinste, der je zwischen zwei großen Männern und Rivalen
bestanden hat.
21. Schisser, der Dichter der AreiKeit.
Ferdinand Rosiger, Gedächtnisrede zur 100jährigen Wiederkehr seines
Todestages. (Carl Winters Universitätsbuchhandlung. Heidelberg 1905.)
Ein mächtiges Freiheitswehen ging in Schillers Jugend durch
Europa, in der französischen Revolution wuchs es zum verwüstenden
Orkan an. Aber nicht erst dieser fremde Anhauch weckte den eigenen
Freiheitsdrang in Schillers Brust, in ihm war emporgekommen der alte
freie Geist des germanischen Volkes, wie ein verschütteter Quell mit ur¬
eigener Gewalt wieder emporschießt. Es war der Geist, der in Luthers
Tagen ein notdürftig Maß von Glaubensfreiheit errungen hatte und
nun allmählich sich reckte, die Fesseln des Jahrhunderts zu brechen. So
kämpfte stürmisch und drangvoll Schiller gegen den Zwang des Unrechts
und der Unnatur in seinen ersten Dramen. Welch gewaltiger Protest
sein Erstlingswerk, die Räuber; sein letzter, das große Freiheitslied im
Wilhelm Tell! Aber selbst in seinen philosophischen Schriften begegnet
fast auf jeder Seite das Wort „Freiheit". Sie ist das Lebenselement,
in dem er atmen mochte. Aber nicht die Freiheit launischer Willkür,
zerstörungslustiger Ungebnndenheit suchte er, sondern die Freiheit zu
eigenem Tun, frei zu denken und zu prüfen, das Leben sich selber zu
gestalten nach eigenem Recht und eigenem Plan. Vor allem das große
Wort, das er von Kant entnahm, entsprach ganz dem eigenen Wesen
Schillers: „Bestimme dich aus dir selbst." Bestimme dich nach den
Gesetzen deines Inneren, aber es sind dieselben Gesetze, die du im
Weltall triffst. Und frei ist der Mensch nur als geistiges Wesen mit
der Kraft zu eigenem Wollen, das Tier gehorcht dem blinden Natur¬
trieb. In die feste Burg der moralischen Freiheit dringt keine fremde
Gewalt, aber sie ist unbezwinglich fest nur dann, wenn in ihr auch Gott
wohnt. Darum der Ruf: „Nimm die Gottheit auf in deinen Willen",
d. h. ans freiem Entschlüsse wähle und tue, was Gott will. Das Glück
des Freien ist, sich aus eigener Erkenntnis unter das große göttliche Ge¬
setz zu stellen und ans eigenem Antrieb seinem Wesen die ruhige Sicher¬
heit zu geben, die die Pflanze als ein Geschenk der Natur empfängt.
Karl Moor, der Räuber, hat in leidenschaftlicher Verirrung als
Rächer der weinenden Unschuld, des gekränkten Rechts, des verhöhnten