Full text: Für Ober-Sekunda und Prima (Prosah. 7)

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Prosaheft VII. 
Wurf zu machen. In teilnehmendem Verstehen spricht er zu ihnen als 
einer, der selbst von den „Schwingungen der Zeit" niit berührt ist. Er 
kann es begreifen, daß das, was ihnen als Religion empfohlen wird, 
sie wenig anzieht, ja ihre Abneigung herausfordert. Ganz anders ist 
die Religion, zu deren Priester er sich berufen weiß — berufen, nicht 
um seines Standes willen, sondern auf Grund der Erfahrung und 
Lebensführutig, die ihm geworden ist. „Religion war der mütterliche 
Leib, in dessen heiligem Dunkel mein junges Leben genährt und auf 
die ihm noch verschlossene Welt vorbereitet wurde, in ihr atmete mein 
Geist, ehe er noch seine äußeren Gegenstände, Erfahrung und Wissenschaft 
gefunden hatte, sie half mir, als ich anfing, den väterlichen Glauben zu 
sichten und das Herz zu reinigen von dem Schutt der Vorwelt, sie blieb 
mir, als Gott und Unsterblichkeit dem zweifelnden Auge verschwanden, 
sie leitete mich ins tätige Leben, sie hat mich gelehrt, mich selbst mit 
meinen Tugenden und Fehlern in meinem ungeteilten Dasein heilig zu 
halten, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt." 
So drängt es ihn, auch andere zu den Geheimnissen der Religion zu 
führen, die nur der geringschätzen kann, der sie verkennt. 
Zunächst gilt es, die Uneingeweihten die Religion erst sehen zu 
lehren, ihre noch ungeübten Blicke auf den Punkt zu richten, wo sie in 
ihrer Reinheit erscheint. Man muß nämlich absehen von allem, was 
sich nur zufällig auf dem Weg der geschichtlichen Entfaltung an die 
Religion angesetzt hat, von Zeremonien und Sitten, Lehren und Systemen. 
Es ist falsch, die Furcht vor einem ewigen Wesen und das Rechnen 
auf eine andere Welt für die Angelpunkte der Religion zu erklären, und 
grundverkehrt, sie um moralischer und politischer Dienste willen gelten 
zu lassen. „Ein schöner Ruhm für die Himmlische, wenn sie die irdischen 
Angelegenheiten der Menschen so leidlich versehen könnte!" In die Tiefe 
der Seele muß man hinabsteigen, um hier ihren Ursprung und ihr Werk 
zu belauschen. Nur wer sie hier in ihrem Mittelpunkt geschaut hat, 
kann sie auch in heiligen Büchern und geschichtlichen Verhüllungen wieder¬ 
finden. So soll denn gezeigt werden, daß die Religion „aus dem Jnneru 
jeder besseren Seele notwendig von selbst entspringt, daß ihr eine eigene 
Provinz im Gemüte angehört, in welcher sie unumschränkt herrscht, daß 
sie es würdig ist, durch ihre innerste Kraft die Edelsten und Vortreff¬ 
lichsten zu bewegen und von ihnen ihrem innersten Wesen nach gekannt 
zu werden." 
Damit ist eine sorgfältige Unterscheidung der Religion von anderen 
Bestrebungen gefordert, mit denen sie nur zu oft verwechselt wird. Es ist 
fast hergebracht, sie mit der wissenschaftlichen Welterklärung oder mit 
der Moral für nahe verwandt zu halten, ja mit ihnen zusammenfließen 
zu lassen. Allein von beiden ist sie nach Art und Absicht durchaus verschieden. 
Sie will weder den Aufbau der Welt erforschen, noch die Psiichten des
	        
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