Full text: Für Ober-Sekunda und Prima (Prosah. 7)

26 
Prosaheft VII. 
sterblichkeit einschlagen, hängen immer zugleich von der Richtung ihrer 
Phantasie, den Gewohnheiten ihres Denkens, dem Rangverhältnis ihrer 
geistigen Interessen ab. Es kann darum fromme Menschen geben, die 
sich noch bedenken, der geistigen Macht des Universums die Züge der 
Persönlichkeit zuzuschreiben. Und es kann auch eine Gesinnung, der es 
genügt, mit dem llnendlichen zusammenzufließen, frömmer sein als ein 
Glaube, dem an der Erhaltung der endlichen Persönlichkeit mit ihren 
Schranken alles hängt. Es muß in der Religion Raum bleiben für 
mancherlei Weisen, ihren Besitz auszulegen und dnrchzudenken. Wer 
nur von der Vielheit der Kräfte in der Welt hindurchdringt zu der 
einen, höchsten, geistigen Macht, der hat in seiner Anschauung die Ge¬ 
meinschaft mit Gott, und wer mitten in der Endlichkeit eins wird mit 
dem Unendlichen und ewig ist in dem Augenblick, der bekennt und er¬ 
lebt die Unsterblichkeit der Religion. 
Wir stehen am Ende eines geschlossenen und kühnen Gedanken¬ 
ganges. Schleiermacher hat seine Zusage gehalten, uns die Religion 
nicht von ihren Grenzen her zubeschreiben, sondern uns in ihren leben¬ 
digen Mittelpunkt zu versetzen. Manches, was wir zu den unverlierbaren 
Grundlagen und Inhalten der Religion selbst rechnen, ist dabei als 
bloßes Außenwerk eingeschätzt worden. Es war unverkennbar seine Ab¬ 
sicht, die Religion recht weit zu fassen, so daß keine individuelle Gestalt 
derselben, keine mit frommem Sinn irgend verträgliche Denkweise aus¬ 
geschlossen bleibe. Auch Spinozas fromme Betrachtung des Weltalls 
in seinem streng notwendigen Gang, auch Fichtes Glaube an eine sitt¬ 
liche Weltordnung, der eben damals mit dem Vorwurf des Atheismus 
gebrandmarkt wurde, soll als Religion gelten. Es soll dadurch nur 
um so mehr hervortreten, daß die Menschheit alles höhere Leben, alle 
ideale Betrachtung der Welt, allen Glauben an Menschenwürde und an 
einen ewigen Gehalt der Geschichte der Religion zu danken habe. 
Die Kehrseite ist freilich, daß sich der Redner auch einer allzu 
deutlichen Zeichnung der Religion, einer zu engen Begrenzung ihrer 
Umrißlinien enthalten mußte. Er spricht nicht, wie wir erwarten möchten, 
schlechtweg von Gott; er wählt dafür die vielfach unbequemen Aus¬ 
drücke: Universum, Weltgeist, Genius der Menschheit, llnendliches. 
Er zieht keine Grenzlinie zwischen dem religiösen Theismus und 
einem auch noch religiösen Pantheismus. Aber wir gehen nicht fehl, 
wenn wir annehmen, daß ihm das Universum doch durchaus eine geistige 
Macht ist, unumschränkter als die Persönlichkeit, die uns in menschlicher 
Erscheinung entgegentritt, aber nicht minder bewußt, planvoll ordnend, 
ihre Geschöpfe mit Liebe umfassend und mit Weisheit leitend. Wenn 
man erst die Menschheit gefunden haben muß, um das Unendliche zu 
ergreifen und zu verstehen, so kann dies Unendliche nicht bloße Natur¬ 
kraft sein, es muß die Vollendung des geistigen Lebens umschließen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.