Full text: VII. Zeitraum: Von 1770 bis zu Goethes Tode (Teil 2)

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stundenweit sei dort ein Berg und hier der See. Der Paß von 
Zug durch den Wald und durch das stille Thal an dem Agerisee 
sei von fast gleicher Beschaffenheit, aber die Gefahr sei viel kürzer; 
hier werde alles auf den Gebrauch der Augenblicke ankommen. Sie 
wissen wohl, daß die Anhöhe des Morgarten eine natürliche Schanze 
vorstelle, über welcher die Alte-Matte sich in eine nicht unbeträcht— 
liche Ebene ausbreite; mit dieser hange der Berg Sattel zusammen; 
von dem Sattel herunter könne mehr als eine Sache mit gleichem 
Glück geschehen, von dem Berg über die Alte-Matte auf den Mor— 
garten Anlauf zu nehmen, um den Feind in dem Paß zu erschrecken, 
ihm in die Seite zu fallen und ihn zu trennen, oder im Thal dem 
vorgerückten Feinde in den Rücken zu fallen, oder ihn an allem zu 
verhindern und ihn abzuschneiden. Alles werde dadurch leichter 
werden, weil der Feind sie verachte, und weil Verteidigungskrieg 
am besten von denen geführt wird, welche das Land wohl kennen. 
Als der alte Reding dem Vaterlande seine Pflicht so bezahlt 
und ihm die Landleute gedankt, nachdem sie nach alter Sitte der 
Waldstätte knieend Gott, ihren einzigen Herrn, um Hilfe gebeten, 
zogen sie aus, dreizehnhundert Eidgenossen, und legten sich an den 
Berg Sattel. 
Es geschah, daß in diesen Zeiten großer Parteiung, da bald 
kein Streit ohne Gewalt geschlichtet und keine Fehde ohne zahlreiche 
Verbannung vermieden werden konnte, fünfzig Männer aus dem 
Lande Schwyz vertrieben waren. Diese, als ihnen die Gefahr der 
öffentlichen Freiheit ihres Vaterlandes kund wurde, kamen an die 
Landmarken, um Erlaubnis zu erhalten, durch mannhafte Verteidi— 
gung des gemeinen Besten mit jenen auf dem Sattel sich ihrer 
Abstammung würdig zu beweisen. Die Eidgenossen, welche für un— 
geziemend hielten, um einer Gefahr willen ein Gesetz abzuändern, 
wollten sie nicht inner die Grenzen aufnehmen; die fünfzig legten 
sich außer die Landmarken auf den Morgarten und beschlossen, für 
das Vaterland ihr Leben zu wagen. 
Die Morgenröte des fünfzehnten Wintermonats (15. Nov.) 
in dem dreizehnhundert fünfzehnten Jahr ging auf, und bald warf 
die Sonne ihre ersten Strahlen auf die Helme und Kürasse der 
heranziehenden Ritter und edlen Herren; so weit man sah, glimmerte 
Speer und Lanze, und war das Heer das erste Heer, soweit sich 
das Angedenken der Geschichte erstreckt, welches in die Waldstätte zu 
ziehen unternahm. Von den Schweizern wurde es unter mancher— 
lei Gemütsbewegungen am Eingang der Landmarken erwartet. 
Montfort von Tettnang führte die Reiterei in den Paß; bald 
wurde zwischen Berg und Wasser die Straße mit Reiterei angefüllt 
und standen die Reihen gedrängt. In diesem Augenblicke wurden 
von den fünfzig unter lautem Geschrei viele aufgehäufte große
	        
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