Full text: Deutsches Lesebuch für Obersekunda (Teil 7)

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ein beschauliches Dasein, anderwärts sind dem merkwürdigen Nager unsere 
Gewässer durch Befahrung und industrielle Nnlagen zu unruhig geworden. 
Unsere flüchtige Überschau hat ergeben, daß sich der umgestaltende 
Eingriff des Menschen in die Naturwildnis teils richtet auf Veränderung 
der pflanzen- und Tierwelt je nach dem Bedarf feiner vornehmlichen Be¬ 
schäftigung, teils auf Nusführen von Wege-, Wasser- und Hochbauten. In 
beiden Richtungen stellt sich die Wasser- und die waldfrage in den Vorder¬ 
grund. Bei beiden wollen wir noch einen Nugenblick verweilen. 
In der wüste schafft sich der Mensch Kulturboden, indem er den in 
lichtloser Tiefe schlummernden Wasservorrat durch artesische Bohrung an 
die Oberfläche herauffördert, um bald im Schatten von Dattelhainen zu 
wandeln, wo sonst der verschmachtungstod drohte. Im amphibischen Sumpf- 
gelände gilt es im Gegenteil, des Übermaßes von Wasser sich zu entledigen, 
um dann mitunter den allerfruchtbarsten Boden zu gewinnen. Letzteres 
war der Fall in Ägypten- in der Deltaflur des Nil war nicht zu leben 
als Fischer, Iäger oder Hirt, nur als seßhafter Nckerbauer, dann aber auch 
in hohem Wohlstand und wachsendem Volksgewimmel, das zur Arbeitsteilung, 
folglich zu hoher Kultursteigerung führte. So zogen die Altägypter den 
Kulturboden durch Entwässerung und Dammbauten aus dem Nilschlamm 
empor und schufen die eine hauptwurzel der nachmals in Europa aus¬ 
gestalteten Weltkultur. Die andere hauptwurzel leitet weiter hinaus in 
das Mündungsland des Euphrat und Tigris, hier ward in ganz ähnlicher 
weise Kulturboden als Grundlage erstaunlich früh gesteigerter Mensch¬ 
heitsgesittung dem Sumpfdelta der beiden Zwillingsströme enthoben. Über 
der ältere, darum höher an den Flüssen hinauf gelegene Veltaboden lag 
doch schon zu hoch über dem Stromspiegel, er wurde deshalb nicht mehr vom 
Hochwasser erreicht wie der am ägyptischen Nil, man mußte das Wasser 
durch Schöpfwerke emporheben und in zahlreiche Kanäle leiten, die zugleich 
der Schiffahrt wie der Felderbefruchtung dienten. Das war es, was das 
uralte Sumeriervolk und seine Nachfolger in diesem Deltaland, die Thaldäer, 
zu weit mühevollerer Leistung stachelte als die Ägypter. Indessen eben 
weil dieser Kulturboden von keinem Nil alljährlich von selbst getränkt 
und gedüngt wird, verlor er seine Lrzeugungskraft, als der gedankenöde, 
die Tatkraft lähmende Kismetglaube des Islams das Leichentuch über das 
Land breitete. Babylonien versank in den Wüstenzustand,- trauernd blickt 
der Birs Nimrud, der einzige turmartige Trümmerrest Babels, dieser größten 
Stadt des Nltertums, auf eine sonnendurchglühte Ebene, der nun das Wasser 
fehlt, das einst die Heidenvölker so schaffensfroh heraufholten, hier also 
harrt eine seit mehr denn tausend Jahren erstorbene Kulturlandschaft ihrer 
Auferstehung, sobald nur das rechte Volk kommt. Glorreicher erscheint 
darum die Bezeugung menschlicher wacht über rohe Naturgewalt in den 
Niederlanden, weil da noch zur Stunde das Siegeswort Wahrheit spricht:
	        
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