219
das Land; das Volk wogte durch die Straßen nach den Bazaren, wo
jeder noch etwas zur Festfreude erkaufen wollte. Wo wir in ein Haus
blicken konnten, war man mit der Bereitung des Lammes beschäftigt.
Aus einen: der Häuser trat eine Frau mit einem Becken, das mit dem
Blute des geschlachteten Lammes gefüllt war; zuerst sprengte sie mit der
Hand an die Außenseite der Thüre; lebendig wurden wir an die Be-
sprenguug mit dem Blute des Osterlamms bei dem Auszuge Israels
erinnert. Aus der feiernden Menge führte uns der günstige Wind bald
weiter; erst am Abend legte er sich, um, wie unsere Leute sagten, auch
Bairam zu feiern, und ihnen Zeit zu lassen, am Ufer bei einem flackern¬
den Feuer ihr seltenes Festmahl zu halten.
Die Windstille hielt leider lange an und so feierten wir auch das
Christfest auf unserm Boote. Wir freuten uns der stillen, gesegneten
Herzensfeier in dem Laude, welches einst das Christkindlein aufnahm, als
es nach seiner Geburt Schutz suchte gegen die, welche ihm nach dem
Leben standen. Zu der Zeit, wo man in der Heimat am heiligen Abend
die Christgeschenke aufbaut, wurde uns das zur Zeit liebste Geschenk:
ein starker Nordwind schwellte die Segel; der strahlende Sternenhimmel
gab uns die Weihnachtslichter; Palmzweige erhoben sich als Christbaum.
So feiernd gedachten wir der Feier im elterlichen Hanse, an der wir oft
gemeinsam teilgenommen hatten und bei der ich zum erstenmal fehlte.
Hatte doch der Christbaum dort schon durch seinen Ursprung an die Palme
Ägyptens erinnert. Die Palme, welche alle Monate neue Zweige an¬
setzt, ein Sinnbild des Jahres, erscheint am Christfeste als Sinnbild des
großen Weltjahres, der alten Zeit vor Christo, und als Stammbaum
des Menscheusohnes, während im Abendlande die Tanne ihre Stelle ver¬
treten muß. Die Palme, die Königin der Bäume, bildet in ihren: dauern¬
den Grün den blühenden und dauernden Zustand des Frommen ab:
„Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum". Sie ist das Bild stets
neuen Lebens, des Sieges im Kampfe; mit Palmenzweigen zog Israel
einher bei den Lobgesängen; die Sieger im Kampfe für das Evangelium,
die Märtyrer, treten mit Palmen in ihren Händen vor den Thron des
Herrn. Ist sie doch auch so schwungreich, daß sie trotz ihrer Höhe von
etwa sechzig Fuß mit ihrem schlanken Bau den Stürmen widersteht,
welche die starke Sykomore umstürzen; sie beugt ihr Haupt, berührt mit
den langgefiederten Blättern fast den Boden und schwingt sich alsbald
wieder kühn empor.
Diese Königin der Bäume, welche sich gewöhnlich in einem kahlen
Stamme erhebt und an der Spitze eine breite Krone trägt, zeigte sich
jetzt, wo wir ein südlicheres Klima erreicht hatten, als Dompalme, die
von der Wurzel aus sich in zwei Stämme teilt, die mit dichten Zweigen