Full text: Mancherlei für Jung und Alt

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hat, wie in jeder gesunden naturwüchsigen Entwicklung, nach dem poli¬ 
tischen Leben auch die Skulptur mit den übrigen Künsten ihren Palmen¬ 
stand gefeiert. 
Die Perserkriege hatten Vaterland, Religion und die ganze Existenz 
des hellenischen Wesens bedroht, die innersten Kräfte seines Lebens auf¬ 
geregt, das Bewußtsein der nationalen Kraft aufs höchste gesteigert und 
durch ihren wunderbar glücklichen Erfolg mit der glänzenden Siegesbente 
auch die materiell reichsten Mittel gewährt. Athen, durch Themistokles 
zur ersten Seemacht erhoben, und in dem Kampfe wider die Barbaren 
als das Bollwerk der hellenischen Freiheit bewährt, erlangte nicht nur die 
politische Hegemonie* über das übrige Hellas, sondern wurde auch unter 
der Staatsverwaltung des Perikles der Sammelplatz und Mittelpunkt 
aller hellenischen Geistesbildung, das Hellas in Hellas, wie die Alten 
selbst es priesen. Der große Reichtum, der damals dort zusammenfloß, 
wurde anfangs vorzüglich zur Befestigung der Stadt und zum Baue der 
laugen Mauern verwendet, welche die Landstadt mit der Seestadt des 
Piräeus verbanden; dann aber zur großartigen Wiederherstellung und 
Ausschmückung der zerstörten Burg und Stadt mit Tempeln, Säulen¬ 
hallen und Theatern. Es wurden nacheinander eine Reihe von Bauten 
aufgeführt, die Majestät und Anmut auf die glücklichste Weise vereinigten: 
das große steinerne Theater, die mit Wandgemälden geschmückte Säulen¬ 
halle an der Agora, das Odeon zur Feier der Panathenäen?, endlich die 
Prachtbauten der Burg, der Parthenon, das Erechtheion, die Propyläen: 
so daß das damalige Athen, was seine Tempel und öffentlichen Gebäude 
betrifft, die glänzendste Stadt der bewohnten Erde genannt wird. Und 
in dieser Zeit erreichte auch die Skulptur, befreit von aller altertümlichen 
Steifheit und durchdrungen von dem großartigen Sinne der perikleischen 
Zeit, in Phidias ihren Gipfelpunkt. Damals und in diesem Geiste sind 
die Wunder der Skulptur, der olympische Zeus und seine unsterbliche 
Tochter, die den Krieg und die Kunst und die Weisheit liebende Göttin, 
von Phidias, dem Athener, gedacht und ausgeführt worden: Werke, die 
an Erhabenheit der Conception und an Schönheit der Ausführung so 
einzig in ihrer Art waren, daß noch acht Jahrhunderte später, kurz vor 
ihrem Untergange, ein dem Hellenismus feindlich gesinnter Kirchenlehrer 
folgende Vergleichung machte: „Aus seinen Werken wird oft der Werk¬ 
meister erkannt, auch wenn man ihn nicht sieht. Und wie man von dem 
Bildhauer Phidias sagt, daß, wer dcsseu Werke schaue, aus dem schönen 
Ebenmaß und dem richtigen Verhältnis ihrer Teile sofort den Meister 
1 Oberleitung. 
2 Volksfeste der Athener zu Ehren der Pallas.
	        
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